NL Lederer, Moritz, 1888-1981 (Bestand)

Archive plan context


Title:NL Lederer, Moritz
Name of the creator / provenance:Bei der Durchsicht der Dokumente bestätigte sich die Vermutung, daß sie sowohl aus der Hinterlassenschaft von Moritz Lederer als auch seiner zeitweiligen Ehefrau Lotte, geb. Hafner, wiederverh. Himmelsbacher stammten. Die gemischte Provenienz wurde in verschiedenen Details sichtbar. Augenfällig belegt wird sie durch einen Brief Moritz Lederers vom 18.11.1944, der sich gleich zweimal im Nachlaß befindet. Der Brief war mit Durchschlag geschrieben und gemischt (je 1 Originalseite + 1 Durchschlag) verschickt worden; ein Exemplar fand sich unter den Korrespondenzen, das zweite in einem der beiden Briefkonvolute, die von unbekannter Hand vorsortiert wurden. Um dieser gemischten Provenienz Rechnung zu tragen, wurde die gesamte Korrespondenz in der Verzeichnung an das Ende des Bestands gestellt und die Briefe des Schauspielers Max Grünberg an Lore Lederer, die über Mandfred Bosch am 1.10.1999 an das Stadtarchiv kamen, dieser Korrespondenz zugeordnet.
Geschichte der Institution mit Archivbeständen:Moritz Lederer wurde am 17. November 1888 in Mannheim als einziges Kind des österreichischen Staatsbürgers Salomon Lederer und seiner Frau Johanna, geborene Wohlgemuth geboren. Der Vater war von Beruf Kalligraph und führte ein unbeständiges Leben, schon nach wenigen Jahren verließ er Frau und Kind. Moritz Lederer wuchs somit bei seinen Großeltern Wohlgemuth auf und wurde in seiner Jugend stark von dieser großbürgerlichen, jüdischen Umwelt geprägt. In der Säckefabrik seines Onkels Lion Wohlgemuth legte er den Grundstein für erste berufliche Erfolge und den Aufbau einer eigenen Firma (Goldbach & Lederer), die Säcke fabrizierte und vertrieb.
Eine grundlegende geistige und berufliche Umorientierung brachte für den überzeugten Pazifisten der Erste Weltkrieg. Im Sommer 1916 trat er aus der Mannheimer jüdischen Gemeinde aus, weil er ihr vorwarf, die Kriegshetze mit nationalistischen Durchhalteparolen zu fördern. Am 19. August 1916 heiratete Moritz Lederer die Mannheimerin Lore (Leonore Katharina Stefanie) Hafner. Am 20. Februar 1918 wurde die erste Tochter Ruth Eva Maria, am 7. Juni 1919 die Tochter Ursula Esther Johanna als zweites Kind der Ehe geboren. Mit dem Ehefähigkeitszeugnis verlor Lederer die Österreichische Staatsbürgerschaft und wurde als badischer Bürger wenig später zum Kriegsdienst einberufen.
Mit dem Kriegserlebnis, das den Fronteinsatz in den Jahren 1917/18 einschloß, brach auch für Moritz Lederer eine bürgerliche Welt zusammen, deren Grundwerte er nun in seiner in Mannheim erscheinenden Zeitschrift Der Revolutionär radikal in Frage stellte. Zwar spielte Moritz Lederer im Mannheimer Arbeiter- und Soldatenrat keine bedeutende Rolle, wirkte aber in persönlichem Engagement an der Umgestaltung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse mit und setzte dazu das nicht unbeträchtliche Vermögen ein, das er sich bis dahin erworben hatte. Er machte sich im Herbst 1918 zu einem der eifrigsten Fürsprecher einer revolutionären Erneuerung Deutschlands und faßte sein am kulturellen Vermächtnis der Menschheit orientiertes Programm in mehreren Flugschriften zusammen, deren Vertrieb er von seiner Wohnung in der Mannheimer Augustaanlage Nr. 9 aus organisierte: Sintflut, Der Sintflut Ende. Meine erste Revolutionsrede und Der Schrei nach Wahrheit. Meine zweite Revolutionsrede. Im gehobenen Ambiente der Wohnung, das in dieser Zeit auch schon einmal durch Schüsse ins Wohnzimmer gestört wurde, entstanden auch die ersten Nummern seiner Zeitschrift, an der eine ganze Reihe literarischer Größen mit Beiträgen beteiligt waren: Der Revolutionär erschien erstmalig am 19. Februar 1919, die letzte Nummer gab Lederer im Mai 1923 zum Inflationspreis von 2000 Mark in Berlin heraus. Gedruckt wurde die Zeitschrift zuerst in München, wo die Restauflage der bis dahin produzierten Nummern beim Einmarsch des Eppschen Freikorps beschlagnahmt und vernichtet wurden. Die folgenden Ausgaben wurden in Frankfurt, später in Mannheim hergestellt. Die 31 erschienenen Hefte enthielten neben seinen eigenen Artikeln Beiträge von Heinrich Mann, Leonhard Frank, Armin T. Wegner, Klabund, Walter Heinrich, Ernst Toller, Kurt Eisner, Erich Mühsam u.a.m.
Am 22. Februar 1919 soll Moritz Lederer im Gefolge der Ermordung Kurt Eisners in München in den Mannheimer Planken die Räterepublik Kurpfalz ausgerufen haben und wurde als Urheber der in einer gewalttätigen Demonstration endenden Ereignisse angesehen. Über die in der Presse gegen ihn verbreiteten Verleumdungen hinaus wurde Lederer in Prozesse verwickelt, die mit Geldbußen und zumindest einer Haftstrafe endeten. In den Revolutionswirren des Jahres 1919 mußte er mehrfach um sein Leben bangen: während eines Aufenthalts in Berlin wurde er gar von Freikorpssoldaten drei Wochen lang festgesetzt. Solche Gefahren mißachtend verfolgte er weiterhin seine eigenwilligen Projekte. Mit einem aus Arbeitern und kommunistischen Schauspielern bestehenden Ensemble organisierte er im Frühjahr 1920 die Uraufführung von Erich Mühsams Revolutionsdrama Judas, das vor einem 5000 Zuschauer zählenden Arbeiterpublikum gespielt worden sein soll. Das unter der Bezeichnung Mannheimer Volkstheater durchgeführte Experiment war für Moritz Lederer der Einstieg in die praktische Theaterarbeit, ihm folgte 1924/25 eine vorübergehende dramaturgische Tätigkeit am Mannheimer Nationaltheater und die Aufführung eines eigenen Stückes, der Bearbeitung einer
Vorlage von Albert Emil Brachvogel mit dem Titel Narziß und die Pompadour, dessen Uraufführung im Februar 1926 am Mannheimer Nationaltheater stattfand. Das Stück wurde auch verschiedentlich auf anderen deutschen Bühnen gespielt. Zum damaligen Zeitpunkt versuchte sich Lederer auch in der Bearbeitung des Theaterstücks des italienischen Dramatikers Luigi Pirandello Il Giucco delle parti, das am 3. Mai 1926 am Mannheimer Nationaltheater uraufgeführt wurde. Er schrieb auch eine ganze Reihe eigener Gedichte und kleiner literarischer Texte, die sich zum Teil im Nachlaß befinden.
Die nur kurze, aber wohl eindrucksvolle Tätigkeit am Nationaltheater ebnete Lederer den Weg für eine zweite berufliche Karriere. In Berlin, wo er sich seit der Zeit der Novemberrevolution häufig aufgehalten hatte und wohin er am 1. Juni 1926 auch offiziell verzog, wurde er Mitarbeiter des Theaterregisseurs Max Reinhardt, dessen Bühnenbetriebe er mit ökonomischem Geschick verwaltete. Deren Zusammenfassung mit den von Eugen Robert und Victor Barnowsky geleiteten Spielstätten unter dem Namen Reibaro unter Lederers Leitung ebnete dem erfolgreich gewordenen Theatermanager den Weg zu einer einzigartigen Karriere, die aber durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten unterbrochen wurde. Nach 17tägiger Inhaftierung im Berliner Columbiahaus gelang Lederer die Flucht nach Paris, von wo er aber schon Ende 1934 wieder nach Deutschland zurückkehrte. Im Januar 1935 ging er erneut nach Berlin, lebte dort von journalistischen Arbeiten und war an den Aktivitäten des Jüdischen Kulturbunds beteiligt. Am 16. Mai 1937 wurde Moritz Lederer von seiner Frau Lore geschieden, die sich schon am 12. Juli 1937 mit Adolf Himmelsbach verheiratete. Ende August 1937 folgte Moritz Lederer dem Ruf von Max Reinhardt ans Wiener Theater in der Josefstadt, wo er schon bald durch den gewaltsamen Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich vertrieben wurde und auf abenteuerlichen Umwegen erneut nach Paris floh. Dort überlebte er in einem deutschen Militärlazarett unter falschem Namen den Krieg und die Vernichtung fast seiner gesamten jüdischen Verwandtschaft. Am Wiederaufbau des kulturellen Lebens in Deutschland beteiligte sich Moritz Lederer von seiner Wahlheimat in Südbaden aus, wo er zeitweise bei der französischen Besatzungsbehörde beschäftigt war. In Meersburg lebte er bis zum 12. Dezember 1971 hauptsächlich von journalistischer Tätigkeit.
Classification:Der im Juni 1998 vom Stadtarchiv erworbene Nachlaß wurde im April 1998 in seinem damaligen Zustand grob verzeichnet. Der Bestand setzte sich aus 7 Normalpaketen (1 - 7 vgl. Aufstellung bei der ersten Sichtung in den Dienstakten 16.30.20-Lederer) und einem hauptsächlich mit Korrespondenzen gefüllten großen Karton zusammen. Die Normalpakete enthielten teilweise vorsortiertes Material, während die im großen Karton lagernden Archivalien weitgehend unsortiert waren. Die vorgefundene Ordnung enthielt eine ganze Anzahl vorsortierter Vorgänge mit inhaltlichem Zusammenhang. Nur ein geringer Teil dieser „Aktenbände" wurde von Moritz Lederer selbst angelegt; es sind dies die beibehaltenen kompakten Konvolute, die Vorgänge aus dem Leben von Moritz Lederer betreffen und deren Zusammenstellung auf ihn selbst zurückgehen. Solche Fällen sind unter der Rubrik „Bemerkungen" nachgewiesen. Daneben fanden sich im Nachlaß auch „Aktenbände", die von unbekannter Hand zusammengefügt wurden und denen eine Übersicht beigefügt war. Diese Übersicht stimmte allerdings nicht in allen Fällen mit den enthaltenen Unterlagen überein. Die Inventare wurden der Dienstakte 16.30.20-Lederer beigegeben.
Der überwiegende Teil der Korrespondenz befand sich unsortiert in einem großen Karton und wurde zunächst nach Jahrgängen sortiert. Nur einzelne kleine Päckchen waren von unbekannter Hand
zusammengestellt und mit Tesafilmstreifen gebündelt worden. Diese Päckchen waren zwar mit Jahreszahlen gekennzeichnet, enthielten aber sowohl undatierte als auch offensichtlich abweichend datierte Korrespondenz. In solchen Fällen wurde die Provenienz bis auf die offensichtlich in ein anderes Jahr gehörigen (weil so datierten) Briefe beibehalten.
Ansonsten stellte sich im Laufe der Ordnungsarbeiten heraus, daß diese Nachlaßteile ohne jegliche Systematik verpackt worden waren. Bei der probeweise vorgenommenen Feinsortierung der Kriegsbriefe Moritz Lederers an seine Frau (1917/18) mußten Brieffragmente einander zugeordnet werden, was auch im Wesentlichen gelang. Dennoch blieb auch nach einer arbeitsintensiven Feinsortierung der grob periodisch und nach Korrespondenten geordneten Briefe jeweils ein unbestimmbarer Restbestand pro Periode übrig. Im großen Karton befanden sich unter den Briefen auch eine Vielzahl von persönlichen Unterlagen und Manuskripten, sowie eine Zeitungsausschnittsammlung, die hauptsächlich Arbeiten Moritz Lederers für die Stuttgarter Zeitung enthielt. Solche Unterlagen wurden nach den Schwerpunkten der Gliederung entsprechend zugeordnet.
Abweichend vom sonst üblichen Verfahren wurden die im Bestand vorgefundenen Drucksachen vor allem aus konservatorischen Gründen im Bestand behalten. Die darin enthaltenen Schriften Moritz Lederers sind in der Bibliothek des Stadtarchivs entweder schon vorhanden oder werden in Kopie eingebracht. Die wenigen komplett enthaltenen Zeitschriftennummern sollten bei der von Lederer selbst zusammengestellten Pressesammlung verbleiben.
Mit Datum vom 12. Februar 1999 wurde dem Stadtarchiv von Manfred Bosch ein Konvolut verschiedener Schriftstücke und gedruckten Materials nachgereicht, das in den Nachlaß Lederer eingearbeitet werden sollte (etwa 2,5 cm Umfang, unsortiert). Es enthielt eine repräsentative Auswahl aus den verschiedenen Schaffensperioden von Moritz Lederer, allerdings beschränkt auf den Zeitraum zwischen 1917 und 1949. Es bestand etwa zur Hälfte aus privater Korrespondenz, die nach der chronologischen Ordnung des Findmittels in den Bestand eingearbeitet wurde. Die zweite Hälfte, bestehend aus beruflicher Korrespondenz, Presse und Manuskripten wurde ebenfalls nach der vorgesehenen Bestandsordnung zugeordnet.
Appraisal and destruction:Die im Nachlaß enthaltenen Unterlagen erstrecken sich über die gesamte Lebenszeit Moritz Lederers. Umfangreiches Schrifttum, das im Zusammenhang mit der Herausgabe des Revolutionär und der Tätigkeit bei Max Reinhardt entstanden ist, ging durch die nationalsozialistische Machtergreifung verloren. Dadurch ist der Lebensweg Moritz Lederer und seiner Familie vor dem Zweiten Weltkrieg nur in der Korrespondenz mit Lore Himmelsbach dokumentiert. In der Zeit danach entstand im Zusammenhang mit den verschiedenen Tätigkeiten Lederers eine umfangreiche Dokumentation eigener Arbeiten, die sich erhalten hat.
Usage notes:Da die Unterlagen in das Eigentum des Stadtarchivs übergingen, bestehen keine Benutzungsauflagen.
Comments:Die Bemühungen des Stadtarchivs Mannheim um den Nachlaß Moritz Lederers begannen schon, als dessen Tod in seiner Geburtsstadt Mannheim bekannt geworden war. Frau Lore Himmelsbach konnte sich zum damaligen Zeitpunkt allerdings nicht dazu verstehen, die in ihrem Besitz befindliche schriftliche Hinterlassenschaft ihres geschiedenen Mannes abzugeben. Ausgehend von den Bemühungen Manfred Boschs um die Erforschung der Biographie Moritz Lederers wurde die Übernahme durch den Leiter des Stadtarchivs Herrn Dr. Schadt bei der Tochter Moritz Lederers, der damals in England lebenden Mrs. Ursula Piper in die Wege geleitet.
Der Bestand wurde in den Monaten April bis Juli 1999 vom Unterzeichner unter Anleitung von Frau Barbara Becker geordnet und verzeichnet. Die Verzeichnung erfolgte parallel zur Publikation über Moritz Lederer, die das Stadtarchiv als Nr. 13 der Reihe ‘Kleine Schriften’ herausgab. Dort wird auch als Ergänzug zu einer biographischen Studie von Manfred Bosch in einer Bestandsübersicht eine Wertung und Beschreibung des Nachlasses vorgenommen.
Mannheim, im Dezember 1999
gez. Hans-Joachim Hirsch


Literatur:
Manfred Bosch - Vom Bürgerschreck zum Theatervisionär: Moritz Lederer - europäischer Grenzgänger aus Mannheim.
Mannheim 1999, Verlagsbüro v. Brandt
Bundesland:Baden-Württemberg
Art der Institution mit Archivbeständen:Kommunale Archive
 

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Related units of description:siehe auch:
K / 71 Nachlaß Moritz Lederer im Stadtarchiv Mannheim (Aufsatz)
 

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