|
AV1880 Bermudafunk GRENZENLOS: Sendung Das Mannheimer Erbgesundheitsgericht, 2008 (Audiovisuelle Sammlung)
Title: | Bermudafunk GRENZENLOS: Sendung Das Mannheimer Erbgesundheitsgericht |
Ref. code: | AV1880 |
Ref. code AP: | AV1880 |
Originalmedium: | nur digital vorhanden |
Datumsbemerkung: | 23.06.2008 |
Creation date(s): | 2008 |
Inhalt_AV: | Zwangssterilisierung von Mannheimer Bürgern
Der „Arbeitskreis Justiz und Geschichte des Nationalsozialismus in Mannheim e.V.“ recherchierte in den Gerichtsakten des Mannheimer Erbgesundheitsgerichtes. Diese Akten lagern in Karlsruhe im Landesarchiv. Von den noch vorhandenen 1000 Akten, hat der Arbeitskreis rund 250 Akten aufgearbeitet. Ein Teil von dem was der Arbeitskreis dabei zutage förderte, soll in dieser Sendung berichtet werden. An dieser Stelle möchte der Arbeitskreis auf eine szenische Lesung zu diesem Thema am 14 Juli 2008 hinweisen. Die szenische Lesung hat den Titel „Die Unfruchtbarmacher“ und wird im Schulungsraum des Fachbereiches Gesundheit der Stadt Mannheim in R1 stattfinden. Der Fachbereich Gesundheit wurde früher Gesundheitsamt genannt. Diese Namensänderung ist ein klares Zeichen für die Distanzierung mit der Nazizeit.
Um uns in die damalige Zeit einzustimmen, hören wir den Zeitzeugen Kurt Tucholsky. Katja Ebstein liest „Das dritte Reich“.
Musik…………………………………………….Track14 Das dritte Reich
Am Mannheimer Amtsgericht gab es in der NS-Zeit mehrere Sondergerichte. Eines davon war das Erbgesundheitsgericht.
Es wurde eigens zur Umsetzung eines Gesetzes eingerichtet. Es handelte sich um das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933.
Es sollte, in maßgeblicher Zusammenarbeit mit den Gesundheitsämtern, so genannte erbkranke Menschen zwangsweise unfruchtbar machen lassen.
Rund 350000 Reichsbürger wurden damals von speziell approbierten Ärzten zwangssterilisiert. An den Eingriffen starben schätzungsweise bis zu 6000 Frauen und 600 Männer. Die Amtsärzte wurden seinerzeit aufgefordert Nachwirkungen der Sterilisation nicht anzuerkennen. Am 16. Oktober 1934 schrieb der Minister des Innern in Karlsruhe an die Herren Bezirksärzte und Bezirksassistenzärzte. Zitat:
„Es mehren sich die Fälle in welchen unfruchtbar gemachte Personen über Nachwirkungen klagen und Beeinträchtigungen der Arbeitsleistung oder Arbeitsunfähigkeit gelten machen. Ab sofort sind alle Fälle an die Bezirksärzte zu verweisen, die die Fälle zu begutachten haben. Krankenkassen und Krankenhäuser sind entsprechend informiert worden. Auf diesem Wege hoffe ich die drohenden Rentensucht von unfruchtbar gemachten Personen verhindern zu können…“
Musik……………………………………Milva Wie man sich bettet……..
Wie kam es damals dazu Menschen unter Zwanganwendung zu sterilisieren?
Schon Ende des 19.Jahrhunderts wurden Ideen der Rassenhygiene und der Erbgesundheitspflege propagiert. Diese gingen aus von sozialdarwinistischen Vorstellungen aus, dass die stärkere Rasse die schwächere besiegt. Diese Vorstellung wurde unter dem Stichwort Eugenik bekannt. Der Staat hatte hierbei die Aufgabe, die so genannte natürliche, damals als positiv erachtete Auslese zu steuern und zu verstärken. Radikaler wurden diese Vorstellungen während der Weimarer Republik. Es gab den Vorwurf, dass Fürsorge und Sozialgesetzgebung die natürliche Selektion blockierten. Die als positiv erachtete Auslese gipfelte schließlich in dem perfiden Vorwurf, die Tüchtigen und Starken hätten während des Weltkrieges 1914 bis 1918 ihr Leben für den Staat geopfert und die deutsche Bevölkerung hätte gehungert. Während dessen hätten die Insassen der Heil- und Pflegeanstalten - damals „Irrenhäuser“ genannt - die notwendigen Nahrungsmittel aufgezehrt und potentielle Lazarettbetten blockiert. All diese Vorstellungen wurden hauptsächlich von Psychiatern wie Plötz, Kraeplin und vielen anderen ausgearbeitet. Hieraus entwickelten sich Forderungen, die Träger von angeblich, wie man es damals nannte „erblicher Minderwertigkeit“, an der Fortpflanzung zu hindern.
Dies sollte in erster Linie über Zwangssterilisationen gewährleistet werden, eskalierte dann aber im weiteren Verlauf in der Forderung nach der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ . Diese „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ wurde unter dem Begriff „Euthanasie“ bekannt.
Es wäre irrig anzunehmen, dass alle Psychiater hinter diesem „Euthanasie“ – Programm standen. Auf der 52. Konferenz bayrischer Psychiater im Juli 1931 diskutierte man ausführlich über die Frage der Sterilisation. In der anschließenden Diskussion warnte Oswald Bumke, der Kraeplins Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Psychiatrie in München und - seinerzeit noch - Kritiker der Rassentheorie war. Zitat:
„Wenn wir durch die Sterilisation das Auftreten von Geisteskrankheiten verhüten können, so sollen wir es ganz gewiß tun – aber nicht weil der Staat Geld spart, sondern weil jede Geisteskrankheit ein unendliches Leid für den Kranken und seine Angehörigen bedeutet. Wirtschaftliche Gesichtspunkte wären hier nicht nur unangemessen, sondern geradezu gefährlich. Man braucht doch den Gedanken, daß man aus finanziellen Gründen alle im Augenblick entbehrlichen Menschen beseitigen sollte, nur zu Ende zu denken, um zu einem ziemlich ungeheuerlichen Ergebnis zu kommen: Wir müßten dann nicht bloß alle Geisteskranken und Psychopathen, sondern alle Krüppel einschließlich der Kriegsverletzten, alle alten Jungfern, die keinen Beruf ausüben, alle Witwen, die keine Kinder mehr zu erziehen haben, alle Rentner und alle Pensionäre totschlagen. Das würde uns gewiß Geld sparen, aber wir werden es vermutlich nicht tun“.
Die Nationalsozialisten taten aber gerade das. Aus wirtschaftlichen Gründen wurden ab 1934 so genannte Erbkranke, die man damals sogar als Ballastexistenzen verhöhnte, mit Hilfe der Zusammenarbeit von Gesundheitsamt und Erbgesundheitsgericht verfolgt und unfruchtbar gemacht. Der Psychiater Bumke führte in der gleichen Rede weiterhin aus: Zitat: „Trägt man die Diskussion über die Sterilisierung heute in die Arena der politischen Kämpfe hinein, so wird man wahrscheinlich bald ziemlich wenig von Geisteskrankheiten, aber um so mehr von Ariern und Nichtariern, von der blonden germanischen Rasse und minderwertigen Rundschädeln reden. Daß dabei etwas Positives herauskommt, ist gewiß nicht wahrscheinlich; wohl aber würden die Wissenschaft im allgemeinen und die Genealogie und Eugenik im besonderen einen Schaden erleiden, den man nicht leicht wiedergutmachen könnte.“
Ab Kriegsbeginn im September 1939 glaubte Hitler nicht mehr Rücksicht auf das Ausland nehmen zu müssen. Er gab deshalb die Tötung dieser so genannten „Ballastexistenzen“ frei. Das war der Beginn der unmenschlichen Massenvernichtung
In den Schulbüchern der Nazizeit konnte man zum Beispiel folgende Textaufgabe lesen. Zitat:
Aufgabe 97: Ein Geisteskranker kostet täglich 4 RM, ein Krüppel 5,50 RM, ein Verbrecher 3,50 RM. In vielen Fällen hat ein Beamter täglich nur etwa 4 RM, ein Angestellter kaum 3,50 RM, ein ungelernter Arbeiter noch keine 2 RM auf den Kopf der Familie.
(a) Stelle diese Zahlen bildlich dar. - Nach vorsichtigen Schätzungen sind in Deutschland 300 000 Geisteskranke, Epileptiker usw. in Anstaltspflege. (b) Was kosten diese jährlich insgesamt bei einem Satz von 4 RM? (c) Wieviele Ehestandsdarlehen zu 1000 RM könnten - unter Verzicht auf spätere Rückzahlung - von diesem Geld jährlich ausgegeben werden?
Dass es Hitler und seinen Schergen hauptsächlich um das Geld ging, zeigte sich ganz deutlich in seinem persönlichen Umfeld. Hitler selbst stammt nach neuesten Forschungen aus einer Familie mit inzestuösem Hintergrund. Er ließ wahrscheinlich deshalb sofort nach dem Anschluss Österreichs die beiden Geburtsdörfer seiner Großeltern evakuieren und daraus Truppenübungsplätze machen. Göhring hatte eine geisteskranke Tochter. Göbbels hatte einen Klumpfuß und Himmler einen so genannten „nichtarischen Rundschädel“, damals Kennzeichen niedriger Erbmassequalität. Hätten sie ihre eigenen Gesetze auf sich selbst angewandt, hätten sie sich alle selbst in Vernichtungslager stecken müssen.
Musik ………………………………………………..Track16 Rote Melodie
Doch zurück zum Mannheimer Erbgesundheitsgericht. Der Arbeitskreis Justiz in Mannheim recherchierte im Generallandesarchiv Karlsruhe. Dort lagern die Gerichtsakten aus der NS-Zeit.
Welche so genannten Erbkrankheiten fielen unter das Gesetz? Zitat:
Die Reichsregierung hat das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird: § 1. (1) Wer erbkrank ist, kann durch chirurgischen Eingriff unfruchtbar gemacht (sterilisiert) werden, wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, daß seine Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden. (2) Erbkrank im Sinne dieses Gesetzes ist, wer an einer der folgenden Krankheiten leidet: 1. angeborenem Schwachsinn, 2. Schizophrenie, 3. manisch-depressivem Irresein, 4. erblicher Fallsucht, 5. erblichem Veitstanz, 6. erblicher Blindheit, 7. erblicher Taubheit, 8. schwerer erblicher körperlicher Mißbildung. (3) Ferner kann unfruchtbar gemacht werden, wer an schwerem Alkoholismus leidet.
Um die Ungeheuerlichkeit dieses Gesetzes zu verstehen, müssen wir versuchen einen Bezug zu unserer Jetztzeit herstellen. Erst wenn wir am Beispiel heute lebender Menschen zeigen, wer da verfolgt war, kann man verstehen weshalb z.B. die NPD verboten werden sollte.
Betrachten wir einmal ein paar der so genannten Erbkrankheiten im Einzelnen.
Da wäre „Angeborener Schwachsinn“.
Diese Diagnose war die große Fliegenpatsche mit der die Nazis jede ihnen missliebige Personengruppe stigmatisieren konnten. So zum Beispiel begründete das Erbgesundheitsgericht die Unfruchtbarmachung. Zitat:
„Willensschwache, asozial veranlagte und arbeitsunfähige Person, die zweifellos an angeborenem Schwachsinn leidet. Der Schwachsinn liegt bei ihr weniger auf dem intellektuellem, als auf ethischem und moralischem Gebiet“
Wer seinen eigenen Unterhalt nicht verdienen konnte und damit der Gemeinschaft zur Last fiel, wurde als schwachsinnig erklärt. Er wurde als schwachsinnig erklärt weil er nach den Nazivorstellungen auf ethischem und moralischem Gebiet versagte,
Man kann sich unschwer vorstellen, welche Personengruppen heute unter dieses Gesetz fallen würden.
Es wären die sozial schwächsten Menschen wie Langzeit-Arbeitslose und viele andere mehr, die heute von den Nazis körperlich verstümmelt werden würden.
Im Reichsgesundheitsblatt 1934 Seite 269 ff. wurde deutlich ausgeführt, wie der angeborene Schwachsinn zu verstehen ist. Zitat:
„...Für die Beurteilung des angeborenen Schwachsinns ist die Bewertung lediglich der intellektuellen Leistung und des Wissensumfangs nicht ausreichend, vielmehr ist auch nach den übrigen Anzeichen des Schwachsinns, wie Urteilsschwäche, Beeinflußbarkeit, Mangel an höheren sittlichen Vorstellungen, Gedächtnis- und Merkschwäche, gemütliche Stumpfheit usw., sowie nach antisozialen, insbesondere kriminellen Eigenschaften zu fahnden; ferner können Schulzeugnisse und die bisherigen Leistungen im Leben für die Beurteilung aufschlußreich sein.“ und ferner „.. Unter den Begriff der hochgradigen Psychopathie fallen außer den ausgesprochenen degenerativen Formen von charakterlicher Abwegigkeit auch Fälle von asozialem bzw. antisozialem Verhalten, sofern diese Eigenschaften im Berufsleben bereits deutlich und wiederholt in Erscheinung getreten sind...“ .
Hauptschulabbrecher, Kleinkriminelle, Mitglieder von Jugendbanden und demente Menschen wären damals glatt in die Fänge der Nazis geraten und zwangsweise sterilisiert worden.
Musik ………………Das Lied vom toten Soldaten……………………
Die „Neue Mannheimer Zeitung“ stellte am 16. Januar 1934 den Vorsitzenden des Mannheimer Erbgesundheitsgericht vor. Es war Amtsgerichtsrat Dr. Mackert Dr. Mackert wurde am 23. Februar 1934 von der „Neuen Mannheimer Zeitung“ wie folgt zitiert. Zitat:
„Jährlich werden rund 350 Millionen Mark für die Erhaltung der Erbkranken ausgegeben; dies ist um so härter, als unser Volk infolge der durch den Krieg herbeigeführten Wirtschaftsdepression mit Steuern und Abgaben stark überlastet ist. Da auf zwei in Arbeit stehende Volksgenossen ein Arbeitsloser entfällt, müssen die Lasten für die Erhaltung der Erbkranken sonach von zwei Dritteln der arbeitenden Bevölkerung getragen werden. Dies sind die Folgen der übertriebenen Fürsorge für das Einzelindividuum. Diese Art der Humanität und der sozialen Fürsorge muß sich für das Volksganze als größte Grausamkeit auswirken und schließlich den Untergang herbeiführen.“
Das ist ungeheurlich!
Tatsächlich hat es in der Nazizeit vor allem die sozial schwächeren Schichten der Bevölkerung getroffen. Angeborener Schwachsinn diente auch zur Abschreckung und Bestrafung politischer Gegner und unangepasster Menschen. Es gab einige Fälle bei denen die Anzeigen aus reiner Böswilligkeit oder Neid erfolgten.
Auch das nächste Zitat zeigt die Beliebigkeit der damaligen Rechtsprechung. Zitate aus dem amtsärztlichen Gutachten:
„Die verheiratete Frau hat vier Kinder. Die erste Tochter ist geistig unterentwickelt und lebt in einem Fürsorgeheim. Die beiden anderen Töchter gehen in die Hilfsschule wegen angeborenem Schwachsinn. Bei dem einzigen Sohn wird auch der Verdacht gehegt schwachsinnig zu sein.“
Laut Stadtjugendamt handelt es sich um eine schmutzige Familie und außerdem sei der Vater Trinker und geistig beschränkt.
Man höre und staune:
Obwohl der Vater geistig beschränkt ist und von Seiten der Familie der Frau keine Erkrankungen vorliegen, wird die Frau zwangssterilisiert.
Die eigenartige Logik des Erbgesundheitsgerichtes nachzuvollziehen wird uns wohl für immer verborgen bleiben.
Die Aussage: „Vater Trinker und arbeitsscheu, Kind verstockt und uneinsichtig“ reichte zum Beispiel aus, um einen 15-järigen Jungen, der unehelich geboren und bei seiner Großmutter lebte, weil seine Mutter an TBC gestorben war, als schwachsinnig zu erklären und zwangsweise sterilisieren zu lassen.
Wenden wir uns der zweiten Fliegenpatsche zu, der „Schizophrenie“ Diese Diagnose wurde manchmal sehr leichtfertig gewählt, nämlich dann wenn die ärztliche Kunst am Ende war. Hier zum Beispiel in der Urteilsbegründung vom Erbgesundheitsgericht : Zitat:
„...war zeitweise sehr erregt, schrie und tobte, litt an Verfolgungsideen, hatte Selbstmordgedanken.“
Daraus folgte für das Gericht, dem zwei Ärzte angehörten. Zitat:
„Krankheitsbild entspricht Schizophrenie.“
Nietsche, der Lieblingsphilosoph der Nazis, sagt in „Jenseits von Gut und Böse“, Zitat:
„Irrsinn bei Einzelnen sei selten, aber bei Gruppen, Parteien, Völkern und Zeiten sei er die Regel“
Nietsche ist nicht jedermanns Geschmack, aber in Bezug auf die Nationalsozialistische Partei, war er genial vorausschauend. Chapeau!
Die dritte Fliegenpatsche war der schwere Alkoholismus. Auch mit dieser Diagnose ließen sich trefflich diejenigen aus dem Verkehr ziehen, die den Nazis nicht passten. Zitat aus dem Urteil:
"...leidet an schwerem Alkoholismus. Dies ergibt sich aus der bewiesenen Halt- und Einsichtslosigkeit und dem unwirtschaftlichen Lebenswandel. Überhaupt beweist seine ganze Persönlichkeit und seine krankhafte Neigung zum Alkohol, daß es sich um einen psychisch abartigen Menschen handelt."
Ein anderer Fall:
Am 11.11.1936 wird ein Mann wegen eines „Rausches“ ins Mannheimer Krankenhaus gebracht. Von dort aus wird er nach Wiesloch verbracht. Kurze Zeit später wird er wegen „schwerem Alkoholismus“ zwangssterilisiert. Das alles nur weil er am 11.11. einen über den Durst getrunken hatte?
Heute finden junge Leute „Koma-Saufen“ cool. Alkoholkranke Menschen versuchen heute in den Krankenhäusern freiwillig eine Entziehungskur zu machen. Bei den Nazis hätte man sie sofort zwangsweise körperlich verstümmelt.
Früher in der Nazi-Zeit reichte es aus, wenn das Erbgesundheitsgericht nachfragte und der Bürgermeister die Trunksucht bestätigte. Heute würde er vielleicht hinzufügen: „… wurde häufig im Ballermann gesichtet…“ Auf jeden Fall lag für das Erbgesundheitsgericht damit die Erbkrankheit „schwerer Alkoholismus“ vor.
Musik ……………………………Das Lied vom Weib des Nazisoldaten
Mit welcher Wucht die Nazis das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 umsetzten, lässt sich anhand einiger Zahlen verdeutlichen. Das Gesetz trat am 1. Januar 1934 in Kraft. Am 9. April 1934 schrieb der Minister des Innern aus Karlsruhe an den Herrn Reichsminister des Innern in Berlin. Zitat:
„Mit Stichtag 20.02.1934 liegen den badischen Erbgesundheitsgerichten 1054 Anträge zur Entscheidung vor. Bis Ende März sind 6513 Anzeigen eingetroffen. Nicht enthalten sind die bei nichtstaatlichen Anstalten befindliche Fälle. Es sind rund 100 nichtstaatliche Anstalten, die in Frage kommen. Die Erhebungen in den Schulen zum Zwecke der Erfassung aller ehemaligen und derzeitigen Hilfsschüler sind im vollem Gange. Die Arbeitsbelastung der Bezirksärzte sind sehr hoch auch die Gerichte bedürfen der Entlastung.“
In der Ausgabe Nr. 278 des „Führer“ vom 21. Juni 1934 wurden die Auswirkungen des Sterilisationsgesetzes in Baden aufgezeigt: Anträge gleich 3050 Fälle, ausgeführt gleich 997 Fälle, abgelehnt wurden 32 Fälle. Weiterhin wurde berichtet. Zitat:
„Die Gesamtzahl (Stand 15. Juni 1934) der bisher durchgeführten Unfruchtbarmachungen beträgt 572, hiervon fallen 289 auf männliche und 283 auf weibliche Kranke. Mit diesen Zahlen der durchgeführten Unfruchtbarmachungen dürfte Baden zweifellos an der Spitze der deutschen Länder in der Durchführung dieses für die Gesamtheit des Volkes so wichtigen Gesetzes stehen…“
Wie kaltschnäuzig die Deutschen den Zwangssterilisationen gegenüber standen, ergibt sich aus einer Mitteilung des Minister des Innern, Karlsruhe vom 28. Juni 1934 in der es heißt. Zitat:
„Erbkranke würden zögern die Einwilligung zu unterschreiben zumal in kleineren Orten Spott und Beleidigungen befürchtet werden. Es wird überlegt diese Leute vom Staatsanwalt verfolgen zu lassen damit der Spott usw. aufhört.“
Was war der wirkliche Grund für diese Mitteilung. Die Nazis fürchteten als Täter erkannt zu werden. Alles sollte nach außen hin rechtstaatlich ablaufen. Allen Beteiligten wurde Schweigepflicht auferlegt. Das normale Volk sollte mit den Auswirkungen der Zwangssterilisierungen nicht behelligt werden. Ein knappes Jahr später bestand noch immer das Problem. Der Minister des Innern, Karlsruhe schrieb an die Herren Landräte. Zitat:
„Es häufen sich die die Klagen, dass Gemeindbedienstete, die auf dem Dienstweg Kenntnis vom Verfahren zur Unfruchtbarmachung erhalten von diesen Dingen dritten Personen Mitteilung machen. Die Folgen hiervon sind nicht nur, dass die Erbkranken gehänselt, verspottet und abfällig beurteilt werden, sondern dass auch eine erhebliche Erschwerung in der Durchführung des Verfahrens eintritt. Anstatt das Gesetz zu fördern, sabotieren solche pflichtvergessene Gemeindebedienstete das Gesetz. Ich werde in Zukunft…auf empfindliche Bestrafung…und außerdem die Entfernung solcher Gemeindebedienstete [ bestehen]…“
Wie weit das Denunziantentum von den Nazis gedeckt wurde, zeigt der Minister des Kultes, des Unterricht und der Justiz in einem Schreiben an die Bezirksärzte und Bezirksassistenzärzte vom 28. Juni 1934. Zitat:
„…dass es unstatthaft und mit der Schweigepflicht § 15 des Gesetzes unvereinbar ist, wenn der antragstellende Arzt davon Mitteilung macht, wer die Anzeige erstattet hat. Die restlose Durchführung des Gesetzes würde gefährdet sein, wenn der Erbkranke oder dessen Angehörige erfahren würden, wer dem Amtsarzt die Anzeige gemacht hat. Gezeichnet in Vertretung Dr. Bader.“
Wie wehrlos die Bevölkerung dem Treiben der Nazis ausgesetzt war, die in die Mühle des Erbgesundheitsgerichts kam, lässt sich aus einem Schreiben des Minister des Kultus, des Unterrichts und der Justiz in Karlsruhe vom 10. August 1934 ablesen. Zitat:
„Ein Dr. H. in Berlin Straße, Hausnummer, der durch seine Quertreibereien in Berlin seit langen Jahren bekannt ist, unternimmt es, Erbkranke in Verfahren auf Unfruchtbarmachung zu vertreten. Etwaigen Ersuchen des Dr. H. um Auskunft oder Akteneinsicht wolle nicht entsprochen werden. Sollte Dr. H. sich auch in Baden zu betätigen versuchen, so ist hierher zu berichten. In Vertretung Schmidt“
Anwälte, die die so genannten Erbkranken vor den Erbgesundheitsgerichten erfolgreich vertraten, wurden als Quertreiber stigmatisiert. Die Nazis wollten keine Rechtstaatlichkeit, sondern nur stur ihren Willen durchsetzen. Dabei schreckten sie auch nicht zurück geltendes Recht zu beugen, d.h. einem Anwalt Akteneinsicht usw. zu verweigern.
Am 15. April 1935 erhebt zum Beispiel das Gesundheitsamt Einspruch beim Erbgesundheitsobergericht ein. Einspruch gegen den Beschluss des Erbgesundheitsgericht in Sachen T. Der Einspruch wird abgelehnt, da sich T. bei der Anhörung als schlagfertig und intelligent erwies. Von Schwachsinn könne keine Rede sein. Wortwörtlich hieß es in der Begründung. Zitat:
„…Allen Anschein nach liegt ein Fall später Reifung vor…“
Das wäre wohl möglich, wahrscheinlicher ist jedoch dass hier jemand ganz eindeutig denunziert worden ist und das Gesundheitsamt die Denunziation voll unterstützt hatte.
Musik………………………Ballade von Maria Sanders………..
Wessen Geistes Kinder sich damals befugt fühlten andere zu belehren, zeigt das Schreiben des Oberlandesgerichtspräsidenten Karlsruhe vom 2.Oktober 1935 an den Herrn Reichsminister der Justiz in Berlin. Auf 10 Seiten wird dargelegt, wie schwer es sei, Schwachsinnige zu erkennen und deshalb eine Bewährung im Leben nicht besage. Ich möchte daraus zwei Sätze zitieren um die Geisteshaltung dieses Oberlandesgerichtpräsidenten darzulegen. Zitat:
„…ist es schon für den Arzt und erfahrenen Psychiater häufig schwer, die Grenzen zu ziehen, wo Schwachsinn leichteren Grades anfängt und Beschränktheit nicht krankhafter Art aufhört, so ist dies für den Laien oft unmöglich. Von den Ärzten wird nun aber erheblichen Wert gerade darauf gelegt, dass der leichte Schwachsinn von der Fortpflanzung ausgeschaltet wird, weil nach ärztlicher Erfahrung dieser Schwachsin sich nicht selten mit anziehendem Äußeren und mit sonstigen guten Eigenschaften verbinde und von Laien nicht erkannt werde, sodaß ein Ehepartner leicht gefunden werde, und weil in solchen Ehen erfahrungsgemäß die Zahl der Nachkommen häufig größer sei als bei anderen…“
Wussten wir das nicht schom immer? Schönheit paart sich mit Dummheit. Ich weis nicht wie dieser Oberlandesgerichtspräsident ausgesehen hat. Aufgrund dieses Briefes würde ich vermuten, er war eine absolute Schönheit.
Es sind jetzt 75 Jahre her, dass das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 die Grundlage dafür hergab, nicht genehme Personengruppe zwangsweise körperlich zu verstümmeln. Das Gesetz ist bis heute noch nicht annulliert worden. Es wurde erst rund 30 Jahre nach Kriegsende nur außer Kraft gesetzt. Das ist eine Schande für die heutige Bundesrepublik. Man könnte nämlich auf die Idee kommen, dass das Gesetz nicht annulliert sondern nur außer Kraft gesetzt wurde, weil man es noch einmal gebrauchen könne?
Die Namen der Richtern und ärztlichen Beisitzern des Erbgesundheitsgerichtes sind bekannt. Sie haben die Unfruchtbarmachung beschlossen. Auch die Namen der Ärzte, die die Unfruchtbarmachung ausführten, sind bekannt. Ebenso die drei großen Mannheimer Krankenhäuser, die die Unfruchtbarmachungen als Geldquelle ansahen. Allen gemeinsam ist, es war keiner da, der das verbrecherische Tun erkannte. Alle machten mit, denn ein Unrechtsempfinden hatte dabei niemand. Ich glaube, dass die Hörerinnen und Hörer sich jetzt ein Bild davon machen können, wer bei den Nazis sterilisiert worden wäre, wenn man heutige Bezüge zu dem unmenschlichen „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 herstellt.
Ich möchte einem Brief von Kurt Tucholsky an Walter Hasenclever vorlesen lassen, der 1933 geschrieben wurde. Man sollte wissen, dass Tucholsky dem Vornamen Hitlers „das l geklaut hat“. Tucholsky nennt ihn deshalb Adoof.
Musik……………………………Track23 Brief an Walter Hasenklever
Gibt es heute noch Kontinuitäten bezüglich der Ausgrenzung von Personengruppen?
In Berlin fand 2008 eine Veranstaltungsreihe über "Missliebige und Unangepasste" statt. Das Thema "Marginalisierte gestern und heute", wurde aus Anlass der sich zum siebzigsten Male jährenden Aktion "Arbeitsscheu ", d.h. Asozialenverfolgung durch den Himmler-Erlass gewählt. Am 13 Juni 1938 wurden gemäß Erlass unter Beteiligung der Kriminalpolizei über 10000 Personen als sogenannte Asoziale in Konzentrationslager verschleppt. Bei der Podiumsdiskussion ging es um die Integration von sozial Ausgegrenzten. Gemeint waren dabei "Rehabilitierung von Asozialen und Gemeinschaftsfremden" .
Die Historikerin Christa Schikorra zeigte am Beispiel des "liederlichen Lebenswandels" von Frauen eindrücklich auf, dass diese soziale Zuschreibung per Definition durch den NS-Staat erfolgte. Die Frauen wussten oft gar nicht, warum sie z.B. ins KZ Ravensbrück eingewiesen wurden. Diese Willkür der sozialen und ideologischen Kategorisierung individualisierte die "Asozialen" im Gegensatz zu den NS-Opfern mit identitätsstiftender Gruppenzugehörigkeit, wie die "Politischen", und führt zu deren Ausgrenzung bis heute.
Karl Stenzel, KZ-Häftling und aktiv im kommunistischen Widerstand beschrieb seine Erfahrungen mit den Schwarzwinklern (Asoziale) und den Grünwinklern (Verbrecher). Vor allem Zuhälter quälten als Funktionshäftlinge andere Häftlinge und arbeiteten mit der SS zusammen. Sinti und Roma hätten zumeist auf individuelle Überlebensstrategien gesetzt. Die Solidarität der Leidensgemeinschaft der Häftlinge hatte aber auf jeden Fall Wohnungslose und Bettler mit im Blick.
Frau Manthey, Jahrgang 1931, als Kind einer "asozialen Großfamilie" mit neun Jahren gerade noch der Gaskammer entkommen, musste im Nachkriegsdeutschland ihre NS-Zuschreibung als "schwachsinnig, bildungsunfähig" verschweigen, um so weiterer Vorverurteilung zu entgehen. Bis in die 1970er Jahre waren Bettelei, Landstreicherei und Prostitution Delikte des Strafgesetzbuches. "Arbeitsbummelei" und "unangepasster Lebenswandel" wurden geahndet, jedoch nicht als NS-Unrecht gesehen. Frau Manthey fiel durch die Raster der Rehabilitierung, da ihre Zwangssterilisation nicht nach gerichtlicher Entscheidungen auf Grundlage des "Erbgesundheitsgesetzes" erfolgte, sondern auf Grund behördlicher Anordnung.
Das Dilemma der NS- Entschädigungsgeschichte zeigte MdB Ulla Jelpke auf. Das Bundesentschädigungsgesetzt (BEG) aus den fünfziger Jahren grenzte 90% der NS-Opfer aus, da es nur "politisch, rassisch und religiös verfolgte Deutsche" bedachte. Asoziale, Deserteure, Homosexuelle und ausländische Zwangsarbeiter waren nicht vorgesehen. Es gab Härtefonds in vielen Bundesländern und Anträge nach dem "allgemeinen Kriegsfolgengesetz", das ansonsten vor allem Wehrmachtsangehörigen Schäden an Körper, Freiheit und Gesundheit ersetzte. Seit den 1980er Jahren erfolgten Einmalzahlungen oder laufende Zahlungen an "vergessene NS-Opfer" zur Rente, wenn "soziale Bedürftigkeit" oder "besondere Härten" gegeben war.
Was bleibt ist: Unrecht, Scham und individuelles Leid, sowie seelische Wunden bei den Betroffenen. Denn die "Asozialen" haben bis heute keine Lobby. Die Wohlfahrtsverbände stellen sich kaum der Verantwortung für ihrer eigene Geschichte. Die regionale Forschung steht ganz am Anfang. Was jedoch nachdenklich stimmt ist: Armut ist heute wieder ein Makel, scheint individuell verschuldet. Arme werden als "Rand der Gesellschaft" ausgegrenzt und kriminalisiert. Kommt uns das alles nicht bekannt vor?
Musik……………………Track 20 Marschlied 1945……….
Abspann |
Playing time: | 1:00:01 |
Ton: | nur |
Comments: | Das von der Lfk geförderte Projekt „Grenzenlos“ startete im Dezember 2006 und vereint im Freien Radio die Zusammenarbeit von Jung und Alt mit dem Engagement gegen Rassismus und Faschismus. Ein Team aus Menschen unterschiedlicher Generationen trifft sich seither regelmäßig um die Durchführung der geplanten Sendungen zu besprechen und diese zu realisieren. Das Radioprojekt Grenzenlos konnte die grundlegenden Projektziele – die generationsübergreifende Zusammenarbeit und die inhaltliche Arbeit innerhalb des Themenkomplexes Antirassismus / Antifaschismus – erreichen: Verschiedene Generationen waren sowohl innerhalb der Arbeitsgruppen als auch innerhalb des Kreises der ProjektbetreuerInnen vertreten. Die Zusammenarbeit innerhalb intergenerativer Arbeitsgruppen hat sich sowohl als spannende Grundbedingung gemeinsamer Arbeit herausgestellt als auch als Bereicherung was die Erfahrungshorizonte, die subjektive Sichtweise auf die gemeinsam zu erarbeitenden Themen und inhaltliche Kenntnisse angeht. Das Themenspektrum der bis April 2008 sechzehn produzierten Grenzenlos-Sendungen entspricht mit der Beschäftigung mit Fragen der Migration und Integration, mit der neuen Bleiberechtsregelung für AsylbewerberInnen oder mit der Aufarbeitung regionaler nationalsozialistischer Geschichte den Vorgaben des Rahmens „Antirassismus / Antifaschismus“. Aber auch die Projektziele der Vermittlung von Wissen über das „Radiomachen“ und die Vernetzung und Multiplikation in der Region konnten erreicht werden: Die Projektteilnehmenden wurden in alle Phasen der Sendungsgestaltung mit einbezogen, so konnten alle Einblick in die vielfältigen Vorgänge erhalten, die für die Produktion einer Radiosendung notwendig sind. Von redaktionellen Tätigkeiten über Audioschnitt bis hin zur Studiotechnik konnten die TeilnehmerInnen somit Neues lernen. Grenzenlos konnte aber nicht nur verschiedene Generationen in einem Projekt vereinen, sondern auch verschiedenste regionale, ehrenamtliche und professionelle Initiativen und Gruppen, die in einen aktiven Prozess des inhaltlichen Austausches integriert werden konnten! |
Zugehörige Versionen: | AV1880-1 |
Conditions of access and use: | GEMA Einschränkungen, dazu Aktenvermerk einsehen unter 16.41.06/1/2016 |
Aktenzeichen1: | 16.41.06/1/2016 |
Angaben zum Erwerb: | Schenkung Klaus Penner, 2016 |
|
Usage |
Permission required: | Keine |
Physical Usability: | Uneingeschränkt |
Accessibility: | Öffentlich |
|
URL for this unit of description |
URL: | https://scope.mannheim.de/detail.aspx?ID=1334521 |
|
Social Media |
Share | |
|
|