AV1879-1 Bermudafunk GRENZENLOS: Sendung Ärzte im Nationalsozialismus, 2008 (Audiovisuelle Sammlung)

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Title:Bermudafunk GRENZENLOS: Sendung Ärzte im Nationalsozialismus
Ref. code:AV1879-1
Ref. code AP:AV1879-1
Originalmedium:nur digital vorhanden
Datumsbemerkung:16.11.2008
Creation date(s):2008
Rechte:MARCHIVUM
Inhalt_AV:Ärzte im Nationalsozialismus Teil 1
Der Arbeitskreis Justiz und Geschichte im Nationalsozialismus in Mannheim eV. hat in den Akten des Erbgesundheitsgerichts in Mannheim recherchiert. Diese Akten lagern im Generallandesarchiv in Karlsruhe. Im Rahmen dieser Recherche - der Bermudafunk hatte schon mehrfach darüber berichtet - fanden wir auch schriftliche Unterlagen über Ärzte. Aus diesen Unterlagen wird ersichtlich, dass die rassistische Medizin in der Nazi-Diktatur eine sehr wichtige Rolle spielte. Eine besondere Rolle spielte dabei der so genannte „Sachverstand“ der nationalsozialistischen Medizin. Der Journalist Hans-Günter Thiele drückte es sehr pointiert aus: Die nationalsozialistische Medizin war geprägt von

Zitat:

„ungezügelter und zugleich bürokratisch-sachlich organisierter Lieblosigkeit, Bosheit und Mordgier.“

Hinter dem so genannten „Sachverstand“ der nationalsozialistischen Medizin versteckten sich viele Ärzte.
Ärzte standen an den Rampen der Konzentrationslager und entschieden wer sofort umgebracht werden sollte und wer noch arbeitsfähig war.
Ärzte standen an den Gaskammern und drehten den Gashahn auf. Dabei sahen sie durch ein Fenster ungerührt dem Todeskampf der unglücklichen Opfer zu.
Ärzte betätigten sich als so genannte T4-Gutachter und bearbeiteten rein nach Aktenlage bis zu 200 Psychiatrie-Patienten pro Tag. Bearbeiten heißt hier, sie entschieden über deren Leben oder Tod.
Ärzte machten Versuche mit Häftlingen und nahmen deren Tod billigend in kauf. Das Buch „Medizin ohne Menschlichkeit“ von Alexander Mitscherlich beschreibt diese furchtbaren Taten, die Ärzte durchgeführt oder unterstützt hatten.
Ärzte waren sich auch nicht zu schade, ihre eigenen Patienten anzuzeigen um sie vor das Erbgesundheitsgericht zerren zu lassen. Dabei gingen sie noch nicht einmal das Risiko ein als Denunziant erkannt zu werden.

Am 28.06.1934 schreibt der Minister des Kultus, des Unterricht und der Justiz an die Bezirksärzte und Bezirksassistenzärzte:

Zitat:

„…dass es unstatthaft und mit der Schweigepflicht gemäß § 15 des Gesetzes unvereinbar ist, wenn der antragstellende Arzt davon Mitteilung macht, wer die Anzeige erstattet hat…Die restlose Durchführung des Gesetzes würde gefährdet sein, wenn der Erbkranke oder dessen Angehörige erfahren würden, wer dem Amtsarzt die Anzeige gemacht hat. i. V. Dr. Bader“

Am 31.05.1934 setzt der Minister mit folgender Empfehlung nach:

Zitat:
„Es genügt dann meines Erachtens der Hinweis, dass die Unfruchtbarmachung erfolgt ist.“

Die Frage, die sich heute stellt ist: „Was ist der Grund für das willfährige Mitmachen aller medizinischen Bereiche?“.
Aufgrund unserer Recherchen, waren nur wenige Handelnde als stramme Nazis, d.h. als ideologisch gefestigte Nationalsozialisten auszumachen. Weshalb kooperierten die Ärzte mit dem menschenverachtenden System der Nazis?
Man mag es nicht glauben! Die meisten Ärzte profitierten nämlich persönlich vom System. Sie profitierten finanziell oder unterlagen der Verlockung Karriere machen zu können.
Teil 1 dieser Sendung beleuchtet die Ärzteschaft von 1933 bis 1939, also in der Zeit, in der missliebige Personen zwangssterilisiert wurden.
Nach Ausbruch des Krieges 1939 glaubte Hitler, dass die Weltöffentlichkeit genügend abgelenkt sei und unterschrieb die Ermächtigung zur „Euthanasie“. Damit begann das hemmungslose Morden der unglücklichen Opfer. Der Zeitabschnitt ab 1939 wird im Teil 2 behandelt, der an einen der nächsten Sendetermine ausgestrahlt wird.

Wenden wir uns jetzt den recherchierten Tatsachen zu.

Eine zentrale Rolle bei der rassistischen Medizin spielten die 1935 neu gegründeten staatlichen Gesundheitsämter.

Zitat:

An die Städt. Krankenanstalten Mannheim
Mannheim, 2. April 1935

Das Gesundheitsamt Mannheim hat seine Tätigkeit am 1. April des Jahres im Gebäude der Ortskrankenkasse Mannheim, Renzstraße 3 aufgenommen.
Ich bitte alle amtlichen Schreiben, die bisher an die Bezirksärzte adressiert waren, künftighin an obige Anschrift zu richten.
Dr. Kreß

Amtsarzt, bei uns in Mannheim war das Medizinalrat Dr. Kreß. Ihm oblag es in jede Familie hineinzuschauen. Hineinzuschauen und die erbbiologischen Erkenntnisse zu dokumentieren. In so genannten Sippentafeln wurde akribisch festgehalten, wer in einer Familie im damaligen Sinne erbkrank war oder nicht. Der Bermudafunk hat über die so genannten Erbkrankheiten bereits berichtet.
.
Das nationalsozialistische Hetzblatt „Hakenkreuzbanner“ berichtete am 19. Januar 1938 anlässlich eines Besuches des Reichsstatthalters und Gauleiters Robert Wagner ausführlich über das Gesundheitsamt Mannheim. Es war im März 1935 umgezogen. Es befand sich nun im zweiten Stockwerk des Hauses der Algemeinen Ortskrankenkasse in der Renzstraße 11 - 13.

Zitat:

Der Leiter des Staatlichen Gesundheitsamtes Mannheim, Medizinalrat Dr. Kreß, zeigte einleitend die Entwicklung des Gesundheitswesens im Amtsbezirk Mannheim ... Sinn der nationalsozialistischen Gesetzgebung war es, die nach verschiedenen Richtungen hin tätigen Kräfte zusammenzufassen und ihnen eine gemeinsame Richtung zu geben, die einzig und allein den gesundheitlichen Wiederaufbau des deutschen Volkes und seine rassistische Unversehrtheit und Reinheit zum Ziele hat…Das Staatliche Gesundheitsamt Mannheim besteht heute als eine in 12 Abteilungen gegliederte Organisation.
Zehn Ärzte, drei Verwaltungsbeamte, 19 Gesundheitspflegerinnen, zwei technische Assistentinnen, 12 Kanzleiangestellte und zwei Wachtmeister bewältigen die recht umfangreiche Arbeit. Daneben sind vertragsmäßig angestellt: 28 Schulärzte, 67 Schul-Zahnärzte und 10 Ärzte für Mütter- und Säuglingsberatung…
Die umfangreichste und bedeutungvollste Abteilung ist natürlich die der Erbbiologie, der eine schon recht bedeutende Erbkartei angegliedert ist. Die riesige Arbeit, die auf dem erbbiologischen Gebiet zu leisten ist, erhellt vielleicht am besten die Tatsache, dass bis heute in der Kartei bereits annähernd 200000 erbbiologische Karten angelegt sind.“

Damals hatte Mannheim ungefähr 275000 Einwohner. Bei 200000 angelegten erbbiologischen Karten bedeutet dies zum Beispiel, dass eine Stadt wie Mannheim nahezu komplett erfasst war. Eine grauenhafte Vorstellung!
Stolz zeigte in dem vorgenannten Artikel ein Arzt die sogenannten „Gesundheitsblätter“, die Aufschluss über den Gesundheitszustand einzelner Volksgenossen sowie ganzer so genannter Sippen gab.

Die Gesundheitsämter hatten die Aufgabe in den Familien zu schnüffeln und einzelne Volksgenossen, wie ganze so genannte Sippen vor die Erbgesundheitsgerichte zu zerren um eine Sterilisation beschließen zu lassen.

Grundlage dafür war das „Gesetz zur Verhütung von erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933. Auch über dieses Gesetz und die Erbgesundheitsgerichte hat der Bemudafunk schon früher berichtet.

Sehen wir uns einmal zwei Fälle näher an.

In dem ersten Fall haben wir den Namen in Ernst Ackermann geändert:

Ernst ist 26 Jahre alt und der Amtsarzt verlangt über das Erbgesundheitsgericht die Zwangssterilisierung wegen angeborenen Schwachsinns.

Am 06. Februar 1939 werden vom Erbgesundheitsgericht Mannheim die üblichen Unterlagen von allen, die mit Ernst Ackermann zu tun hatten angefordert.

Der HNO-Arzt antwortet:

Zitat:

"heftige Beschwerden lassen sich objektiv nicht erklären, offenbar simuliert oder stark übertrieben, macht Eindruck eines Arbeitsscheuen".

Der Nervenarzt zitiert aus seiner Untersuchung vor fünf Jahren:

"Ich nahm damals Schwachsinn im Sinne des EG-Gesetzes an".

Das Staatsschulamt meldet:

Zitat:

"1. Klasse mußte 1919 wiederholt werden. Entlassen1925 aus 7. Klasse. Schulleistungen waren gut, bedeutende zeichnerische Befähigung".

Aus dem Personalbogen der Volksschule MA von 1923 ergibt sich:

Zitat:

"Blutarmut, Ohrenbeschwerden, Schwimmen nicht geeignet".

Eine Fürsorgerin aus Lahr berichtet:

Zitat:

"Vater hat Cousine geheiratet. Sohn Ernst nach Gutachten vom 18. März 1934 angeblich schwachsinnig. Nach Angabe der Eltern: starke Gehirnverletzung nach Geburtsschädigung, Hirnkrämpfe".

Schließlich schreibt der Vertrauensarzt:

Zitat:

"hatte häufige Arbeitsverletzungen jeweils bald nach neuer Arbeitsaufnahme. Wechselte häufig die Arbeitsstelle 'und wenn einmal seine - für ihn schwere Gesundheitsschädigung - zum Krankmelden nicht reichen wollte, dann kam er mit Ohrenschmerzen auf der Basis einer alten Mittelohrentzündung. Angeborener Schwachsinn liegt meines Erachtens nicht vor. E. ist etwas unterdurchschnittlich begabt, aber überdurchschnittlich arbeitsscheu. Würde raten, den E. auf einige Jahre in ein Arbeitslager zu tun, wo er zu ernsthafter Arbeit erzogen wird".

Urteilsbegründung vom 07. Juli 1939 des Erbgesundheitsgerichtes

Zitat:

" Ernst bewährte sich im Leben wenig. Bei den Arbeiten versagte er und fiel durch sein Benehmen auf. Er wird allgemein als Drückeberger geschildert. Sein Wissen ist sehr primitiv und unterdurchschnittlich auffällig. Urteils- u. Kritikschwäche liegen vor, charakterliche Defekte vorhanden, er lügt und neigt, zur Rede gestellt, zu trotzigem u. dummfrechen Auftreten, d.h. angeborener Schwachsinn ist einwandfrei festgestellt.“

Ernst Ackermann wurde direkt anschließend in Mannheim zwangssterilisiert.

Hören wir uns den zweiten Fall an:

Wenn das Erbgesundheitsgericht nicht so funktionierte, wie sich das zB. der Mannheimer Amtsarzt Medizinalrat Dr. Kreß vorstellte, scheute er sich nicht, beim Erbgesundheitsobergericht in Karlsruhe Beschwerde einzulegen.

Der junge Mann ist verheiratet und von Beruf Maschinenschlosser. Das Erbgesundheitsgericht begründet seinen Beschluss, den Antrag von Medizinalrat Dr. Kreß auf Unfruchtbarmachung wegen erblichen Schwachsinns, abzulehnen:

Zitat:

"angeborener Schwachsinn im Sinne des Gesetzes liegt einwandfrei nicht vor. Er kennt sich aus im praktischen Leben, besser als im so genannten Schulwissen".

Dr. Kreß legt am 26. Januar 1935 Beschwerde beim Erbgesundheitsobergericht in Karlsruhe ein. Der junge Mann wird zur Begutachtung nach Wiesloch geschickt. Der Arzt schreibt in seinem Gutachten vom 07.Januar 1936.

Zitat:

"primitiver Gesichtsausdruck, schafsdämlich, etwas ängstlicher Gesichtsausdruck mit angestrengtem Stirnrunzeln, ist ausgesprochen charakteristisch und aufschlußreich….leidet zweifellos an angeborenem Schwachsinn. Der Grad des Schwachsinns ist nicht ausschlaggebend für den Schwachsinnsgrad etwaiger Nachkommen. Es ist anzunehmen, daß B. bei der vorliegenden Intelligenzschwäche und bei den immer mehr im Volk bewußt werdenden erbbiologischen Kenntnisse als Ehepartnerin nur entweder wieder eine schwachsinnige oder sonstige abnorme Person finden wird....und die aus einer solchen Ehe hervorgehenden Kinder dieselben Defekte, nur vielleicht erheblicheren Grades, aufweisen werden".

Das Erbgesundheitsobergericht in Karlsruhe beschloss aufgrund dieses Gutachtens:

Zitat:

"...leidet der Obengenannte an angeborenem Schwachsinn, wobei vorweg bemerkt sei, daß auch Schwachsinn leichteren Grades unter das Gesetz fällt.“

Medizinalrat Dr. Kreß vom Gesundheitsamt Mannheim hatte sich durchgesetzt. Die Macht dieser Amtsärzte war in der Nazi-Diktatur nahezu unumstößlich. Kein Wunder, denn selbst diejenigen Ärzte, die die Sterilisationen ausführten, mussten linientreu sein und wenn sie katholischen Glaubens waren, sogar noch die folgende Erklärung unterschreiben:

Zitat:

„Ich erkläre hiermit ausdrücklich, daß ich den im Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses festgelegten Bestimmungen und den zu diesem Gesetz ergangenen Ausführungsvorschriften und Weisungen rückhaltlos und ohne inneren Vorbehalt Folge leisten und mit allen Kräften dazu beitragen werde, Sinn und Zweck des Gesetzes innerhalb meines Aufgabenkreises zur Verwirklichung zu bringen.“

Mehrere katholische Operateure unterschrieben diese Erklärung.

Sterilisationen durchzuführen, war eine von den Krankenhäusern und Belegärzten geschätzte zusätzliche Einnahmequelle.
Damaligen Schätzungen nach, sollte eine Operation beim Mann 20,- RM und 4 Tage Krankenhausaufenthalt kosten. Bei einer Frau sollte sie 50,- RM und 8 Tage Krankenhausaufenthalt kosten.

Am 20. Februar 1934 erteilte der Minister des Innern in Karlsruhe erstmals den folgenden Krankenanstalten und Ärzten die Erlaubnis Sterilisationen durchzuführen. Für Mannheim waren das im

Städtischen Krankenhaus Mannheim : Prof. Dr. Rost und Prof. Dr. Holzbach.

sowie unter sonstige Anstalten das

Diakonissenhaus Mannheim mit Dr. Barth und Dr. Girshausen.

Bereits sechs Monate später werden vom Minister des Innern zwei weitere Oberärzte als Operateure zugelassen. Beide operieren in den Städtischen Krankenanstalten in Mannheim. Auch das Heinrich-Lanz Krankenhaus hatte sich inzwischen zur Sterilisation beworben. Dr. Bart und Dr. Hirschfeld-Warnecken erhielten die Erlaubnis sterilisieren zu dürfen.

Am 15. Oktober 1934 beschwert sich der Direktor der Städt. Krankenanstalten Mannheim beim Fürsorgeamt Mannheim darüber, daß keine Frauen mehr zur Sterilisation geschickt werden. Er vermutete, dass der Direktor der Kreispflegeanstalten Weinheim die Patientinnen nach Heidelberg schickte, weil dort der Krankenhausaufenthalt kürzer und damit billiger sei.

Was war der Hintergrund?
Es gab eine Beschwerde, bzw. ein Schreiben des Leiters der Weinheimer Kreispflegeanstalt, in dem er angab selber praktischer Arzt zu sein und daher beurteilen könne, dass 30 RM für eine Operation völlig unangemessen seien.

Das focht Prof. Dr. Franz Rost, Leiter der Chirurgischen Abteilung des Städtischen Krankenanstalten Mannheim jedoch nicht an. Er schreibt im Oktober 1934:

Zitat:

„...Die Operation muß von mir persönlich durchgeführt werden... Die Verwaltung behält 30 RM und nicht nur die 5 RM, die für die Operation normal sind und ich damit nicht die 25 RM für mich... Schließlich handelt es sich um den Mindestsatz der Gebührenordnung.“

Die Direktion der Städt. Krankenanstalten erwidert : Die Gebühr beträgt gemäß Erlass 30,- RM. Der Erlass besagt nicht, wem die Gebühr gehört. Zumal Prof. Dr. Franz Rost Beamter sei, sei eine Liquidation nicht zulässig.
Prof. Dr. Rost lässt nicht locker und fragt einen Kollegen, wie es bei ihm gehandhabt werde. Die Antwort lautete:

Zitat:

„Mein persönlicher Vertrag mit dem Krankenhaus stellt mir die 30,- RM sicher.“

Es muss sich wahrscheinlich bei dem Kollegen um einen so genannten Belegarzt gehandelt haben, der im Krankenhaus nicht fest angestellt war.

Viele der damals so genannten Erbkranken waren in geschlossenen Anstalten untergebracht um ihren Sexualverkehr unterbinden zu können. Würden diese Personen zwangssterilisiert, könnte man sie entlassen und Kosten sparen.

Wie eilig es die Nazis mit den sogenannten Erbkranken hatten zeigt folgendes Schreiben. Am 07. März 1934 erteilte der Minister des Innern an die Amtsgerichte mit Erbgesundheitsgerichten folgende Anweisung.

Zitat:

„…Die Anträge auf Unfruchtbarmachung von Erbkranken, die sich in geschlossenen Anstalten befinden, sind beschleunigt zu behandeln, um der zur Zeit bestehenden Überfüllung dieser Anstalten ein Ende zu bereiten…“

Am 16. Oktober 1934 ordnet der Minister des Innern, Karlsruhe an.


Zitat:

„Es häufen sich Nachwirkungen von Sterilisierten, die durch Ärzte unterstützt werden. Um hier der „Rentensucht“ der Sterilisierten Einhalt zu gebieten, müssen alle Nachwirkungen erst vom Bezirksarzt bestätigt worden sein, bevor den Nachwirkungen nachgegangen werden kann.“

Die Bezirksärzte, die in den Gesundheitsämtern arbeiteten, hatten von Amts wegen kein Interesse daran, dass die Nachwirkungen anerkannt werden. Ärzte, die die Nachwirkungen bei Sterilisierten diagnostiziert hatten, wurden durch das Gesundheitsamt mundtot gemacht. Dies ist umso verwerflicher, als in dem Buch „Richtlinien für Schwangerschaftsunterbrechung und Unfruchtbarmachung“, das die Reichsärztekammer 1936 herausgab, gerade die Folgen des Eingriffes anschaulich beschrieben wurden.

Zitat:

„Einmal muß man sich klar machen, dass die Dauersterilisation ein schwerer und naturwidriger Eingriff in die weibliche Persönlichkeit ist…In zweiter Linie muß bei der operativen Sterilisation mit postoperativen Komplikationen und auch Todesfällen gerechnet werden.“

Als in der Grippezeit zwei Patienten postoperativ starben, wurden die Sterilisationen für kurze Zeit ausgesetzt. Am Ende der Grippezeit vermeldete der Amtsarzt in einem Rundbrief, dass jetzt die „Grippeferien“ für die zwangsweise zu Sterilisierenden vorbei sei.

Auch die frei praktizierenden arischen Ärzte hatten klamm heimlich ihren Vorteil gezogen. Nach der „Verordnung über die Zulassung von Ärzten zur Tätigkeit bei den Krankenkassen vom 22. April 1933 durften jüdische Ärzte nicht mehr als Kassenärzte praktizieren. Artikel 1, Absatz 1 lautet:

Zitat:

Die Tätigkeit von Kassenärzten nichtarischer Abstammung und von Kassenärzten die sich im kommunistischen Sinne betätigt haben, wird beendet. Neuzulassungen solcher Ärzte zur Tätigkeit bei den Krankenkassen finden nicht mehr statt.

In den „Karlsruher Akten“ ist ein Verzeichnis der Kassenärzte in Mannheim enthalten, wahrscheinlich von 1933, wobei arische und jüdische Ärzte getrennt aufgeführt werden.
„Arier = 155, davon 18 Frauen und Juden = 22, davon 0 Frauen“

Für die verbleibenden arischen Ärzte war damit die jüdische Konkurrenz ausgeschaltet. Der Patientenzuwachs war für manche arische Arztpraxis ein wahrer Goldregen. Von dieser Arisierung der Patienten profitierten in Mannheim zum Beispiel zwei Kinderärzte.
Wer die Adressbücher der damaligen Zeit vergleicht, kann folgendes feststellen:
Anfang 1933 gab es 9 Kinderärzte. Davon verloren 7 Ärzte ihre Zulassung, da sie Juden waren. Die restlichen 2 Kinderärzte erhielten dadurch einen enormen Patientenzuwachs. Heute besitzen diese Ärzte prächtige Villen in der nobelsten Gegend in Mannheim. Sie selbst waren nie in der NSDAP, wie der Mannheimer Stadthistoriker Michael Caroli feststellte.

Mancher mag daran glauben, dass es nur Einzelfälle gab, wie die Mediziner nach 1945 selber gerne Glauben machten. Fred Mielke, ein Mitarbeiter Mitscherlichs, erklärte 1948 auf dem Ärztetag in Stuttgart, dass die Zahl der an Medizinverbrechen unmittelbar beteiligten Ärzte„verschwindend“ gering gewesen sei. Er sprach von etwa 300 bis maximal 400 Tätern unter den 90000 in Deutschland tätigen Ärzten. Wie immer auch Mielke auf diese Zahl gekommen sein mochte – sie eignet sich hervorragend, eine vermeintlich klar identifizierbare Gruppe verbrecherischer Einzeltäter, der übergroßen Mehrzahl unschuldiger Mediziner gegenüberzustellen.
Der Blick auf die vielfältigen Übereinstimmungen zwischen Medizin und NS-Regime, die Verstrickung der Ärzteschaft als Berufsgruppe, wurde durch diese Zahlendebatte jedoch völlig verstellt – aus Sicht der Ärztekammer exakt das erwünschte Ergebnis.
Dieses Ergebnis stimmt aber nicht, was sich aus der Selbstgleichschaltung der Ärzteverbände 1933 herleiten lässt.
Folgendes Telegramm sandte der Leiter des Ärztevereinbundes und Leiter des Hartmannbundes, Alfons Stauder, anlässlich des Zusammentritts des Reichstages am 22. März 1933 an Adolf Hitler:

Zitat:

„Die ärztlichen Spitzenverbände Deutschlands begrüßen freudigst den entschlossenen Willen der Reichsregierung der nationalen Erhebung, eine wahre Volksgemeinschaft aller Stände, Berufe und Klassen aufzubauen und stellen sich freudigst in den Dienst dieser großen vaterländischen Aufgabe mit dem Gelöbnis treuester Pflichterfüllung als Diener der Volksgesundheit.“

Die Nationalsozialisten konnten 1933 kaum Schritt halten, so schnell vollzog die deutsche Ärzteschaft ihre Selbstgleichschaltung. Die Standesvertretungen ordneten sich dem neuen Regime unter. Die Ärzteverbände begannen mit der Ausgrenzung jüdischer Kollegen, noch bevor dies verlangt worden war. Nicht weniger als 45 Prozent der deutschen Ärzte wurden Mitglieder der NSDAP, 26 Prozent traten der SA bei. Zum Vergleich: nur etwa elf Prozent der Lehrer waren in der SA. Neun Prozent der Ärzte waren Mitglieder der SS. Bei den Lehrern waren es im Vergleich nur 0,4 Prozent.
Eine ganze Medizinergeneration versprach sich, angesichts der Arbeitsmarktsituation, von der zentralistischen NS-Gesundheitspolitik eine Verbesserung ihrer Lage und war empfänglich für die nationalsozialistische rassenpolitische Vorstellung einer selektionistischen Gesundheitspolitik. Diese Gesundheitspolitik sollte die Starken und so genannten „Erbgesunden“ fördern und die Schwachen und so genannten „Minderwertigen“ aussondern.
Eine kostenminimierende Kollektivmedizin sollte den so genannten „Volkskörper“ als Ganzes in den Blick nehmen und ihn von so genannten kranken Organen oder Gliedern befreien.
Nicht jeder Mediziner konnte dieser Vorstellung etwas abgewinnen.
Allzu vielen jedoch erschien eine obrigkeitsstaatlich geplante und von Experten autoritär durchgesetzte Gesundheitspolitik, als Gebot der Stunde.

Nach dem Krieg, d.h. 1945 wurde die Rechnung präsentiert. Die Militärregierung hatte 99 Bedienstete des Städtischen Krankenhauses Mannheim als „belastet“ entlassen. Die Liste umfasst nicht nur die Namen, sondern auch deren Tätigkeit im Krankenhaus. Die belasteten Ärzte durften zwar ihre Praxis weiter ausüben, sollten jedoch nach dem Willen der Militärregierung, nur den Lohn eines durchschnittlichen Arbeiters erhalten. Auch war das Vermögen der Ärzte eingefroren.
Wie der erste Mannheimer Bürgermeister nach Kriegsende am 15. Oktober 1945 den belasteten Ärzten Mut machte, ist dem folgenden Sitzungsprotokoll zu entnehmen.

Zitat:

„Meine Damen und Herren,

wie Sie eben gehört haben, können Sie Ihre Praxis weiterführen, aber Ihr Gehalt muß festgesetzt werden. Durch meine bisherigen Verhandlungen in Bezug auf die Auslegung dieses Gesetzes ist erreicht worden, daß alle, auch jene Ärzte, die ihre Entlassung schon haben oder heute noch bekommen werden, als Ärzte formell entlassen sind, aber sie können ihre Praxis weiter ausüben. Das erste große Zugeständnis in Be¬zug auf Ihre berufliche Tätigkeit ist damit gemacht worden.
In Bezug auf Einkommen gilt was im Gesetz selbst steht, nämlich dass es das eines gewöhnlichen Arbeiters sein wird. Die Auslegung des Begriffes ‚“gewöhnlicher Arbeiter“ im arbeitsrechtlichen Sinne kann nur vom Arbeitsamt gegeben werden.
Es kann sein, daß das Wochen, vielleicht Monate dauert, bis sich die Wellen geglättet haben. Haben Sie das Vertrauen in die Militärregierung, sowohl als auch in meine Person. Wir werden im Rahmen der bestehenden Gesetze das tun, was zu tun möglich ist.
Wesentlich ist, daß Sie die Berufsarbeit weiterführen können. Ich ver¬gleiche Sie mit einem Geschäftsmann, der in Zahlungsschwierigkeiten gekommen ist und 3, 4 Monate keinen Verdienst hat, nur jenen, der nötig ist, um die Familie zu ernähren. Dies trifft natürlich nur auf die frü¬heren Parteileute zu, die anderen sind selbstverständlich frei und es steht ihnen nichts im Wege.“

Der Bürgermeister fährt dann in seiner Rede wie folgt fort:

Zitat:

„Meine Damen und Herren

Sie können glauben, daß das sorgenvolle Tage sind für Männer, die Verantwortung tragen. Es ist kaum eine Stunde her, daß ich aus dem Munde meiner Mitarbeiter hören mußte, daß einer der Besten unserer Stadt, Herr Rudolf Engelhorn, seinem Leben ein Ziel gesetzt hat durch Vergiften. Ich möchte diesen Anlaß benützen, Sie als Ärzte zu erinnern, wenn Tiefpunkte kommen, und sie kommen in jedem Leben, doch nicht zu verzweifeln, „Bleiben Sie alle auf Ihrem Posten und haben Sie Vertrauen zu sich selbst und greifen Sie nicht zu diesem furchtbaren Mittel, indem Sie der Mitwelt ein schlechtes Beispiel geben.
Es ist zwar nicht, ausgesprochen worden, ich muß es aber dennoch sagen: neben der Begrenzung Ihres Einkommens ist auch das Vermögen blockiert, und Sie können vorerst nicht frei darüber verfügen. Es ist aber nicht so zu verstehen, daß Sie Ihr Vermögen verloren hätten. Auch die Herren der Militärregierung erwarten zu diesem Gesetz noch Vollziehungsanwei¬sung, die, wie wir hoffen, sich zu Ihren Gunsten ausschlagen werden, wenn die Wellen sich etwas geglättet haben und ruhiger geworden sind. Sie werden aus dem, was Sie hören, schon merken, wie die Herren Sie zu verstehen die Absicht haben.“


Dazu bemerkte der Herr Oberbürgermeister:

Zitat:

„Abschließend möchte ich Ihnen noch mitteilen, was die Militärregierung wünscht, daß Ihnen durch meinen Mund mitgeteilt wird:
Die Militärregierung Iäßt wissen, daß sie die Ehre der Ärzte auf jeden Fall achten möchte.
Die Militärregierung läßt wissen, daß sie es deswegen getan hat um dem Gesamtwohl der in unserer Stadt Wohnenden zu dienen. Sie hat diese Auslegung gewählt, um die ärztliche Betreuung wie bisher gesichert zu sehen. Wenn festgestellt werden würde, daß Ärzte aus egoistischen Gründen oder anderen Gründen diese Freizügigkeit in ihrer Anwendung und Ausle¬gung mißbrauchen würden, daß Sie versuchen sollten, über das Maß des Erforderlichen hinaus sich ein Einkommen zu verschaffen, dann würde die Militärregierung leider nicht davor zurückschrecken können, das Ge¬setz in seiner gesamten Schärfe zur Anwendung zu bringen. Ich bitte Sie deswegen, das so hinzunehmen, wie es mir durch meine Dolmetscherin über¬mittelt wurde und weiter sowohl zur Militärregierung, mit der ich sehr gut arbeite, als auch zu meiner Person Vertrauen haben zu wollen. Nicht dadurch, daß man Selbstmord begeht, ändert man die Lage, auch nicht, wenn man tut, als ob man auf einer Insel leben würde, sondern dadurch, daß jeder Einzelne, auch ich schließe mich ein, zu persönlich den grö߬ten Opfern bereit ist im Interesse unseres Volkes.

Daraufhin erfolgte eine weitere Bemerkung des Herrn Oberbürgermeisters:

Zitat:

„Meine Damen und Herren,

dieses Gesetz ist uns gegeben, wir müssen es vollziehen, Wir sind bereit, mit Ihnen jeden Weg zu gehen, der zum Ziel führt.
Es ist meines Wissens der erste Fall im ganzen Bereich der 7. Armee, wo den Ärzten nicht zugemutet wird, eine andere Arbeit zu leisten... Wenn überm großen Teich die Propaganda, wie sie augenblicklich besteht, wenn alle jene, die Rache nehmen wollen, sich gekühlt haben, wird man über diese Dinge anders denken.
Vielleicht sind wir rascher über dem Berg, als wir annehmen.“

Circa 1300 Bedienstete in der öffentlichen Verwaltung wurden nach 1945 von der Militärregierung als belastet entlassen. In der Industrie dagegen, wurden die Belasteten geschont. Im Gegenteil, wenn Betriebsräte Belastete anprangerten, wurden sie als Nestbeschmutzer hingestellt.
Heute stellt sich die Frage nach den wahren Nestbeschmutzern. Eine kurze Reflexion.

Der wahre Nestbeschmutzer ist bekanntlich derjenige, der den Dreck unter den Teppich kehrt.

Alle Antifaschisten und auch der AK-Justiz verstehen sich als Putzkolonne. Sie wollen entrümpeln und endlich den Dreck unter dem Teppich hervorholen um damit das Nest zu reinigen. Dass in diesem Zusammenhang die verantwortlichen Schmutzfinken oder sogar Verbrecher an den Pranger gestellt werden, ist dabei mehr als normal.
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Ton:nur
Comments:Das von der Lfk geförderte Projekt „Grenzenlos“ startete im Dezember 2006 und vereint im Freien Radio die Zusammenarbeit von Jung und Alt mit dem Engagement gegen Rassismus und Faschismus. Ein Team aus Menschen unterschiedlicher Generationen trifft sich seither regelmäßig um die Durchführung der geplanten Sendungen zu besprechen und diese zu realisieren.
Das Radioprojekt Grenzenlos konnte die grundlegenden Projektziele – die generationsübergreifende Zusammenarbeit und die inhaltliche Arbeit innerhalb des Themenkomplexes Antirassismus / Antifaschismus – erreichen:
Verschiedene Generationen waren sowohl innerhalb der Arbeitsgruppen als auch innerhalb des Kreises der ProjektbetreuerInnen vertreten. Die Zusammenarbeit innerhalb intergenerativer Arbeitsgruppen hat sich sowohl als spannende Grundbedingung gemeinsamer Arbeit herausgestellt als auch als Bereicherung was die Erfahrungshorizonte, die subjektive Sichtweise auf die gemeinsam zu erarbeitenden Themen und inhaltliche Kenntnisse angeht.
Das Themenspektrum der bis April 2008 sechzehn produzierten Grenzenlos-Sendungen entspricht mit der Beschäftigung mit Fragen der Migration und Integration, mit der neuen Bleiberechtsregelung für AsylbewerberInnen oder mit der Aufarbeitung regionaler nationalsozialistischer Geschichte den Vorgaben des Rahmens „Antirassismus / Antifaschismus“.
Aber auch die Projektziele der Vermittlung von Wissen über das „Radiomachen“ und die Vernetzung und Multiplikation in der Region konnten erreicht werden:
Die Projektteilnehmenden wurden in alle Phasen der Sendungsgestaltung mit einbezogen, so konnten alle Einblick in die vielfältigen Vorgänge erhalten, die für die Produktion einer Radiosendung notwendig sind. Von redaktionellen Tätigkeiten über Audioschnitt bis hin zur Studiotechnik konnten die TeilnehmerInnen somit Neues lernen. Grenzenlos konnte aber nicht nur verschiedene Generationen in einem Projekt vereinen, sondern auch verschiedenste regionale, ehrenamtliche und professionelle Initiativen und Gruppen, die in einen aktiven Prozess des inhaltlichen Austausches integriert werden konnten!
Zugehörige Versionen:AV1879
Conditions of access and use:GEMAfrei
Aktenzeichen1:16.41.06/1/2016
Angaben zum Erwerb:Schenkung Klaus Penner, 2016
 

Usage

Permission required:Keine
Physical Usability:Uneingeschränkt
Accessibility:Öffentlich
 

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URL: https://scope.mannheim.de/detail.aspx?ID=1334547
 

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