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Chemisches Untersuchungsamt, 1895-1978 (Bestand)
Title: | Chemisches Untersuchungsamt |
Geschichte der Institution mit Archivbeständen: | Der Empfehlung des Großherzoglichen Bezirksamts aus dem Jahre 1876 entsprechend, bestellte der Stadtrat Mannheims am 5.7.1877 Dr. Gustav Brigel, Assistent für Chemie am Realgymnasium, zum nebenamtlichen städtischen Chemiker mit der Aufgabe, regelmäßig chemische Lebensmitteluntersuchungen vorzunehmen. Für seine Arbeit standen ihm Räume und Einrichtungen des Chemielaboratoriums des Realgymnasiums zur Verfügung. Die traditionelle Methode der Lebensmittelkontrolle nach Aussehen und Geschmack hielten die verantwortlichen Organe der Stadt für überholt und unzulänglich. Somit verfügte Mannheim zwei Jahre vor dem Erlass des reichsübergreifenden Nahrungsmittelgesetzes und fünf Jahre vor dessen Vollzug in Baden, als erste Stadt im Großherzogtum, über ein chemisches Laboratorium samt qualifizierter „Halbtagskraft" zum Zwecke der modernen wissenschaftlichen Untersuchung von Lebensmitteln. Bis zum Tode Brigels im Jahre 1896 änderte sich nichts an Aufbau und Besetzung der jungen kommunalen Verwaltungseinrichtung trotz oft vom nebenamtlichen städtischen Chemiker und anderen beklagten Personal- und Raummangels. 1896 erfolgte dann aber eine völlige Umstrukturierung, die Stadt vertraute die nun unentbehrliche Lebensmitteluntersuchungen dem freien chemischen Laboratorium der Doktoren Bissinger und Heking an, die seit 1882 schon aushilfsweise solche Aufgaben in Mannheim durchgeführt hatten. Im Jahre 1900 wurde der Vertrag mit Dr. Bissinger gekündigt; Heking ist inzwischen verstorben und ein neuer Vertrag mit dem freien Labor des Dr. August Cantzler wurde abgeschlossen. Die Gründe für diesen Wechsel sind nicht klar ersichtlich. Dr. Cantzlers Tätigkeitsbereich wurde auf die chemische Untersuchung aller durch staatliche und städtische Behörden zugewiesenen oder durch Privatpersonen beantragte Nahrungs-, Genussmittel und Gebrauchsgegenstände festgeschrieben; dies sollte für die Zukunft der Kern des Aufgabenbereichs des Städtischen Untersuchungsamts bleiben. Für Privatpersonen untersuchte Dr. Cantzlers Laboratorium allerdings gegen Gebühr. Erst am 1.10.1906 konnte sich der Stadtrat dazu entschließen, ein eigenes Laboratorium zu errichten. Im Neubau der Kurfürst Friedrich Schule in C 6,1 standen nun im Erdgeschoß und im Untergeschoß Räume zur Verfügung. Cantzlers Laboratorium wurde kurzerhand zu einer städtischen Anstalt mit der Bezeichnung „Städtisches Untersuchungsamt" umbenannt. Zum Amtsleiter ernannte man Dr. August Cantzler. Die Aufwendungen, die die Stadtkasse dabei für den Bau des Gebäudes zu tragen hatte, waren viel geringer als die Kosten für die Anschaffung von Inneneinrichtung und Apparaturen, die man größtenteils aus dem Cantzlerschen Laboratorium übernahm. Außerdem erwuchsen der Stadt durch die Aufstockung des Personals auch neue ständige Kosten. Trotz anfänglicher Kompetenzstreitigkeiten mit dem Stadtrat, Lebensmittelhändlern und gewerblichen Sachverständigen wurde der Amtsbereich des Chemischen Untersuchungsamts ab 1907 stetig auf das Umland erweitert. Als Grund für diese beständige Ausweitung der Kompetenzen und Vergrößerung des Amtes seit 1876 bis kurz vor Ausbruch des ersten Weltkrieges ist vor allem das Wachstum der Stadt Mannheim, speziell die steigende Zahl der Arbeiterschaft zu nennen, von denen man annahm, sie könnten sich nur minderwertige und somit ungesunde Lebensmittel leisten. Der Stadtrat sah inzwischen die chemische Untersuchung von Lebensmitteln als ein unentbehrliches Mittel zur Verbesserung des Gesundheitszustands seiner Bürger an, zumal die staatliche Gesundheitspolitik der Nahrungsmittelkontrolle große Bedeutung zumaß und außerdem neue Produkte auf den Markt drängten, die auf Konservierungsstoffe, Farbstoffe und Süßstoffe zu untersuchen waren. Im Ersten Weltkrieg befand sich das Amt in der schwierigen Situation, dass man sich trotz Personalmangels der widrigen Lebensmittelversorgung und deren Folgen stellen mußte. Nach dem Krieg in den Jahren 1922 und 1923 übertrugen weitere Gemeinden des Mannheimer Umlandes dem Chemischen Untersuchungsamt der Stadt Mannheim die Lebensmittelkontrolle. Ab 1923 war das Amt in folgenden Städte und Bezirke für die Lebensmittelkontrolle zuständig: Stadt und Bezirk Mannheim, Bezirk Schwetzingen, Feudenheim, Ilvesheim, Neckarhausen, Sandhofen, Seckenheim, Wallstadt, Ladenburg, Altlußheim, Brühl, Edingen, Friedrichsfeld, Hockenheim, Oftersheim, Reilingen und Plankstadt. Im Jahre 1933 ging Dr. Cantzler in den Ruhestand; sein Nachfolger wurde der bisherige Chef des Chemischen Untersuchungsamts der Stadt Breslau, Dr. Fritz Egger. Bedingt durch das Lebensmittelgesetz des Jahres 1934 wurden nun verstärkte Lebensmittelkontrollen in den ländlichen Bezirken eingeleitet. Während des Zweiten Weltkriegs hat das Amt schon ab Kriegsbeginn mit den Konsequenzen der unzulänglichen Lebensmittelversorgung zu kämpfen. Die Belastung des Personalbestands durch den Krieg fiel im Gegensatz zum Zeitraum des ersten Weltkrieges relativ unbedeutend aus und blieb ohne gravierende Folgen für den Geschäftsgang. Stark beeinträchtigt wurde die Arbeit des Amtes allerdings ab 1943 durch die Fliegerangriffe, die ab Mitte 1944 das Städtische Untersuchungsamt fast zur völligen Einstellung seiner Tätigkeit zwangen. Zwei Monate nach Kriegsende war es allerdings schon wieder möglich, den Dienst erneut aufzunehmen. Besonders in den ersten Jahren nach Kriegsende erschwerte die schlechte allgemeine Versorgungslage, wirkungsvoll von amtswegen gegen die beträchtliche Mengen verfälschter Lebensmittel auf dem Schwarzmarkt vorzugehen. Der Zuständigkeitsbereich des Amtes wurde 1950 auf die Bezirke Mannheim, Schwetzingen, Weinheim und das Stadtgebiet Mannheims festgesetzt. Nachdem Dr. Egger 1954 in Ruhestand gegangen war, übernahm Dr. Erich Lindemann die Amtsleiterstelle. Da Dr. Lindemann aber 1956 an das Bundespatentamt in München berufen wurde, bestellte man Dr. Curt Wilhelm, zuvor Direktor des Städtischen Untersuchungsamts Frankfurt an der Oder, zum Anstaltsleiter. Unter Dr. Curt Wilhelm wurden in den Jahren 1957-1959 die Laboratorien renoviert, und 1958 erfolgte die Umbenennung der Anstalt in Chemisches Untersuchungsamt der Stadt Mannheim. In den sechziger Jahren nahm die Diskussion um eine Verstaatlichung der Untersuchungsämter breiten Raum ein. Die Stadt, die 1966 selbst zum erstenmal eine Verstaatlichung des Amts gefordert hatte, bestellte angesichts der zu erwartenden staatlichen Übernahme 1968 für den in Ruhestand gegangenen Amtsleiter Dr. Wilhelm keinen Nachfolger mehr, sondern übertrug die kommissarische Geschäftsführung Dr. Inge Stauffert. Nach jahrelangen Verhandlungen legte das Land 1971 die Chemischen Untersuchungsämter der Städte Mannheim und Heidelberg zusammen, die nunmehr als Außenstelle der Chemischen Landesuntersuchungsanstalt Karlsruhe dienen. Der vorliegende Zugang 32/1998 wurde dem Stadtarchiv Mannheim 1998 von der Mannheimer Außenstelle des Landesuntersuchungsamts Karlsruhe übergeben. Er gelangte in gutem Zustand in das Stadtarchiv und umfaßt den Zeitraum von 1897-1970. Die Akten kamen ungeordnet in das Archiv; eine frühere Registraturordnung ist nicht erkennbar. Mit der Entstehung des Städtischen Untersuchungsamts setzt in Mannheim und Umgebung die wissenschaftliche Kontrolle von Lebens-, Genußmitteln und Gebrauchsgegenständen ein. Von kommunaler Seite wird gegen Nahrungsmittelverfälschung und die Verbreitung von qualitativ schlechten Lebensmittel vorgegangen. Die verschiedenen Zugänge des Bestands Chemisches Untersuchungsamt dokumentieren die Anfänge und den Wandel dieser Anstalt und gewähren gleichzeitig einen Überblick über die Entwicklung des Konsums, der Produktion und des Verkaufs von Lebensmitteln, Genußmitteln und Gebrauchsgegenständen in Mannheim und Umgebung. Letzteres macht die Unterlagen des Chemischen Untersuchungsamts zu einer Quelle der Alltags-, Wirtschafts-, Verwaltungs- und Sozialgeschichte der Stadt. |
Classification: | Einige der im Zugang 32/1998 verzeichneten Akten sind hervorzuheben. So gewährt Akte Nr. 39 mit einigen Schriftstücken zu Entstehung, Aufbau und Wandel des Chemischen Untersuchungsamts einen guten Einstieg in die Geschichte des Amts. Für die Geschichte der Nahrungsmittelchemie könnten die Nummern 32-34, welche die technischen Untersuchungsmethoden zusam-menfassen, von Bedeutung sein. In den unter Klassifikation 01. gegliederten Akten finden sich viele Muster von Etiketten und Verpackungen, die mit den unter Klassifikation 05. gegliederten Filmmaterial und den in die Diasammlung des Stadtarchivs über-nom-menen Bildmaterial einen unmittelbareren Eindruck der Aufgaben und Tätigkeiten des Chemischen Untersuchungsamtes ermöglichen. Der Teilbestand wurde von Herrn Frederik May in Juli/August 1999 unter Anleitung von Herrn Dr. Ulrich Nieß im Rahmen eines Praktikums geordnet, verpackt und verzeichnet. -Bestand Hauptamt, Zug. 39/1977, Nrn. 23, 187, 217, 430, -Bestand Hauptregistratur, Zug. 5/1968, Nrn. 31f., 196; Zug. 29/1970, Nrn. 1054f., 1069, Zug. 42/1975, Nrn. 745, 748-751, 1111f. -Bestand Dezernatsregistratur, Zug.11/1993, Nr.64; Zug. 12/1980, Nrn. 208ff.; Zug. 13/1997, Nrn 1891 f. -Bestand Hochbauamt, Zug. 1/1967, Nr.224-228, Zug. 33/1998, Nr. 776 -Bestand Rechnungsprüfungsamt, Zug. 19/1978, Nr.485 -ZGS, S 2, 24 -Ratsprotokolle Der Bestand entspricht einem zeitlichen Umfang von 1897 über das Jahr der Verstaatlichung 1970 bis 1977. Die Veränderungen der Werteinschätzung von Ernährung, sowohl von Seiten der Bevölkerung, als auch von Seiten der staatlichen und kommunalen Verwaltung werden hier dokumentiert. Eine für die kommunale Lebensmittelkontrolle in Deutschland typische Entwicklung zur institutionalisierten Überwachung, von der sukzessiven Entstehung in Zeitnähe zum Lebensmittelgesetz von 1879 bis zur Verstaatlichung der Aufgabe Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts, findet in diesem Bestand ihren Niederschlag. Dies setzt diese Akten in einen überregionalen Bedeutungszusammenhang. Gleichzeitig dokumentiert der Bestand das zum Ende des 19. Jahrhunderts in vielen Städten des Kaiserreichs zu beobachtende Phänomen der Erweiterung der städtischen Verwaltung auf Druck rasant steigender Einwohnerzahlen. Das Schriftgut wurde nach dem jeweiligen Inhalt in die folgenden vier Gruppenkategorien eingeteilt: Verordnungen, Erlasse und Mitteilungen - Generalia; Lebensmittelkontrolle und Untersuchungsmethoden; Dienststellenverwaltung; Rechnungswesen. Im Bestand fanden sich außerdem Landkarten, Film-, Bildmaterial und Bibliotheksgut. Ein Zugang beinhaltet beispielsweise eine Teilablieferung innerhalb des Bestands Chemisches Untersuchungsamt. Der überwiegende Teil der Akten des Chemischen Untersuchungsamts der Stadt Mannheim erreichte schon früher das Stadtarchiv. |
Usage notes: | Für die Benutzung ist das LArchG bzw. die Archivordnung der Stadt Mannheim maßgeblich.
Mannheim, im August 1999
gez. Dr. U. Nieß gez. F. May
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Comments: | Die vorherigen Zugänge 32/1984 und -/1956 und -/1961 schon 1988 zu einem Bestand von Stadtarchivoberrat Dr. Michael Martin zusammengefaßt worden. |
Bundesland: | Baden-Württemberg |
Art der Institution mit Archivbeständen: | Kommunale Archive |
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Usage |
End of term of protection: | 12/31/2008 |
Permission required: | Keine |
Physical Usability: | Uneingeschränkt |
Accessibility: | Öffentlich |
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URL for this unit of description |
URL: | https://scope.mannheim.de/detail.aspx?ID=170400 |
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