Inhalt_AV: | Maria Alexopoulou [i. F. MA]: Heute ist der 19. Oktober 2012, wir befinden uns im Coffee Store in Mannheim-Innenstadt. Mein Name ist Maria Alexopoulou und ich interviewe im Rahmen des Oral History Projekts „Alle Wege führen nach Mannheim“ Herrn Talat Kamran. Herr Kamran sind Sie damit einverstanden, dass dieses Interview aufgenommen wird? Talat Kamran [i. F. TK]: Ja. MA: Vorab habe ich ganz kurz ein paar Fragen, wo ich Sie um eine kurze Antwort bitte. Zum einen wie lange Sie in Mannheim leben, bzw. seit wann? TK: Seit 1981 lebe ich in Mannheim, zweiunddreißig Jahre. MA: In Deutschland? TK: In Deutschland seit 1978. MA: Und was ist Ihre Staatsbürgerschaft bzw. Ihr… TK: Deutsch. MA: Und Ihr Beruf? TK: Politikwissenschaftler. MA: Dann würde ich Sie bitten, kurz über biografische Sachen zu erzählen: Wo und wann Sie geboren sind, ein bisschen über Ihre Eltern, Geschwister, Ihren Hintergrund, Ihre Herkunftsfamilie. TK: Ich bin 1959 in Konya, Türkei geboren, mitten in Anatolien. Es ist eine sehr bekannte, schöne Stadt. Aber meine Familie kommt nicht aus Konya, sondern aus Istanbul. Also ich gehöre zu einer Istanbuler Familie seit sieben Generation. Mein Vater war Rechtsanwalt, meine Mutter Lehrerin und aus beruflichen Gründen waren wir in Konya. Ich habe eine Schwester… MA: Von Ihrem Vater der Beruf hatte Sie da hingeführt? TK: Ja, von meinem Vater. Zwei Jahre lebten wir dort. Ich habe eine ältere Schwester und meine Oma war immer mit uns, also dass heißt zu fünft sind wir in der Türkei sehr viel gereist. Zwei Jahre Konya, drei Jahre Beyșehir, dann Bartin, Izmit, Istanbul und so weiter. Also wir haben sehr viele Städte in der Türkei besucht, daher kann ich kaum sagen, wohin ich angehöre. Letztendlich Istanbul ist unsere Stadt, wo ich zwar nicht erwachsen oder aufgezogen bin, aber meine Eltern. Und ich habe diese Tradition und diese Erziehung, Istanbuler Erziehung, von meiner Oma und auch Vater und Mutter bekommen. Die schwärmten immer von Istanbul und Istanbul ist für die Türkei natürlich eine wunderschöne Stadt. MA: Und haben Sie da noch Verwandte, haben Sie da eine Beziehung zu Istanbul heute noch? TK: Ja, immer noch, sicher. Wir haben Verwandte da, zwar auch unsere Verwandte sind überall verstreut, aber auch in Istanbul und wir haben richtigen Bezug zu Istanbul. MA: Ihre Schulzeit und Ausbildung, wenn Sie so viel unterwegs waren, war das dann auch…? TK: War immer überall. In Bartin habe ich Grundschule und in Izmit hab ich mein Gymnasium fertig absolviert und in Istanbul hab ich studiert bevor ich nach Deutschland kam. MA: Und da haben Sie auch bereits Politik studiert? TK: Auch, zwei Jahre. MA: Und wie kam das dann, dass Sie nach Deutschland kamen? TK: Damals so, Ende der achtziger Jahre, war es sehr schwierig in der Türkei zu leben. Das war fast wie Bürgerkrieg ähnliche Situation, hin und her, Rechts- und Linksextremisten haben immer gekämpft und man konnte die Uni in der Türkei nicht richtig besuchen, es war uns kaum möglich, dort in Ruhe zur Uni zu gehen, zu studieren. Wir hatten mal auch, so ein bisschen, also nicht ein bisschen, einen großen Wunsch nach Europa zu kommen, hier zu leben. Weil die europäischen Verhältnisse passten uns sehr, sag ich mal, als Jugendliche damals in der Türkei. Mit Neunzehn bin ich dann vereist, nach Deutschland gekommen. Ich habe hier einen Studienplatz bekommen und konnte hier dann weiterstudieren und mein Studium fertig machen. MA: Das heißt, Sie sind dann einfach mit einem Touristen-Visum eingereist und haben sich immatrikuliert? TK: Genau, so war das. Damals gab es kein Visumproblem, weil wir durften als Tourist einfach hinfahren. MA: Und kannten Sie schon andere, die nach Deutschland gekommen sind? Oder hatten Sie zu Deutschland einen besonderen Bezug? TK: Zufall, Zufall. Wir wollten eigentlich nach England… MA: Sie sagen „wir“ – waren Sie mehrere? TK: Ja, ich hatte zwei Freunde noch, also zu dritt sind wir hergekommen, nach Deutschland gekommen und hier haben wir auch immer mit Freunden zusammengelebt alle. Für uns ist die Freundschaft sehr wichtig. Ich sage immer, ohne meine Freunde, hätte ich es hier nicht geschafft oder wäre ich auch hier nicht geblieben. Diese Herzensqualität, die den einen mit dem anderen bindet, mit denen man zusammenlebt, also diese einfache, reine freundschaftliche Qualität, die ist sehr wichtig für uns. Das war da und das hat uns sehr gut getan. MA: Und Sie sagen England? TK: England, weil wir Englisch konnten. Wir konnten Englisch, kein Deutsch und deswegen wir wollten eigentlich nach England. Aber es hat nicht geklappt… MA: Woran lag’s? Wegen der Einschreibung? TK: Teuer… MA: Wegen der Studiengebühren… TK: …schwierig hinzufahren, kostet viel Geld. Hier war also sehr sozial und kostete uns nicht so viel. Vor dreißig Jahren war das viel einfacher. MA: Und wo waren Sie da zuerst, in welcher Stadt? TK: Bochum. Bochum im Ruhrgebiet und danach Heidelberg und Mannheim. MA: Was hat Sie hierhergeführt? TK: Auch Zufall, die Zulassung von der Mannheimer Uni. Ich hatte Zulassung bekommen, einfach… MA: Haben Sie in erst in Bochum die Sprache gelernt oder dort Studienkolleg gemacht? TK: Richtig. Ich hab da die Sprache gelernt. Ich brauchte kein Studienkolleg, weil ich in der Türkei studiert habe, aber ich musste die Sprache richtig lernen. Und danach bekam ich einen Platz in Marburg, später in Mannheim. Und in Mannheim hat es uns besser gefallen. MA: Das heißt, Sie sind dann auch mit den Freunden gemeinsam…? TK: Ja, alle zusammen, immer zusammen, so wie eine Familie. MA: Sind die immer noch in Mannheim, die Freunde? TK: Ja, viele ja. Einer ist zurückgekehrt, der andere ist immer noch da in Mannheim. Später ist noch einer dazugekommen aus demselben Ort, Izmit, der ist auch da in Mannheim. MA: Und die arbeiten als…? Waren das auch Politologen? TK: Einer war Politologe, er ist jetzt Politologe in der Türkei. Der andere hat was anderes studiert, Betriebswirtschaftslehre, der andere ist Chemie-Ingenieur. MA: Und die können in ihrem Beruf dann auch arbeiten? TK: Nee, nicht, nein, keiner leider. Das ist schwierig. MA: Nee, ich frag, weil das ist so eine Geschichte, die ich jetzt öfter gehört habe, dass Leute dann doch nicht in ihren Berufen arbeiten können. TK: Das ist immer sehr schwierig. MA: Woran würden Sie es festmachen? TK: Deutsche Verhältnisse. Es ist keine einfache Sache, besonders als Politologe einen Job zu bekommen ist sowieso schwierig. MA: Die Anfangszeit: Schwierigkeiten, was fällt Ihnen so ein? TK: Alles war begeisternd hier in Deutschland. Natürlich finanziell war es schwierig, weil wir Gelder aus der Türkei bekommen haben und das ist nicht immer so einfach aus der Türkei das Studium finanzieren zu können. Aber es hat geklappt. Ansonsten waren wir sehr begeistert, wir waren junge Menschen, offen und hat uns diese europäische Gesellschaft gut getan, neue Dimensionen eröffnet, wir haben viel gelernt. MA: Negative Erfahrungen auch? Schwierigkeiten, Sachen, die dann nicht so angenehm waren? TK: Negativ, was heißt das? In Deutschland die negative Sache ist folgendes: Man wird hier nicht akzeptiert. Man bleibt immer fremd. Ob man hier dreißig, vierzig Jahre lebt, die Akzeptanz ist nicht da und die Diskriminierung ist immer da. Aber wir haben daraus nichts gemacht. Ich nehme es nicht so in mein Herz hinein, wenn ich diskriminiert werde. Ich bezeichne es, ja, Unkultiviertheit und, was weiß ich, Unzivilisiertheit. Deswegen bin ich nicht minder, ja, weil man mich so sieht und so weiter. Eher im Gegenteil. Ich bin nicht besser, aber auch nicht minder und daraus mache ich mir nichts. Wenn ich Recht habe, dann möchte ich auch meine Rechte haben. Am Ende gewinne ich, wenn man Recht hat und wenn man darauf besteht, wenn man die Wege kennt… Deswegen das ist schon die Diskriminierung und diese Fremdenunfreundlichkeit, sag ich mal, also ist da. Und das ist schon ein bisschen störend, aber man gewöhnt sich daran. Und man bildet seine Welt auch, nicht? Wenn es so ist, dann bilde ich auch meine Welt, dann haben wir auch unsere Welt hier gebildet, aber integriert. Das heißt nicht eine Parallelwelt. Viele verstehen es falsch. Also für mich gibt es immer Parallelwelten in einer Gesellschaft, wenn auch deutsche ist: die Vegetarier, die Grünen oder die Unmündigen… MA: Die Oststadt… TK: Ja, jeder hat seine eigene Welt und man geht immer mit seinesgleichen weiter. Und das bedeutet nicht immer Parallelstrukturen. Eine Gesellschaft besteht aus mehreren Strukturen, so ist es auch. Dadurch haben wir auch seine neue Struktur für uns selber in der deutschen Struktur integriert. Und das finde ich auch okay. Ich hätte auch dasselbe in Istanbul gemacht, auch nicht in Istanbul bin ich einverstanden mit allem. Da gibt es auch Diskriminierungen und Schwierigkeiten, nicht? Das ist kein deutsches Phänomen, überall. In USA die Schwarzen, in der Türkei, sag ich mal, die Kurden oder die Leute aus den Dörfern in Istanbul, hier wir Türken leider werden diskriminiert so in der Form, aber das wissen wir und dagegen kann man immer etwas tun. Man muss sein Bewusstsein stärken und nicht daraus was machen, was weitergeht. MA: Als Sie hier nach Mannheim kamen, lebten ja hier schon viele Migranten. Wie haben Sie das damals empfunden, also aus damaliger Perspektive? Wie war das für Sie? TK: Also erst mal habe ich es nicht so verstanden. Man lebt erst mal mittendrinn, man ist sich dessen nicht bewusst. Jetzt, nach einigen Jahren, weiß man, das ist eine sehr große Gruppe inmitten in Mannheim und gut, dass es so ist, dann fühlt man sich besser, wohler. Und das ist für mich bereichernd, dass es da ist. Und dass noch Italiener, Griechen, Spanier und andere Menschen da sind, noch schöner, ich mag das sehr gerne. Von mir aus sollte eine Venezianer-Stadt, also ein Teil für die Italiener sein oder für die Griechen und so weiter, geht man gern hin und kauft ein oder Essen oder so. Das hat mir sehr gut gefallen. Aber am Anfang ist es normal, man ist sich nicht bewusst davon, dass es so ist, aber das tut gut. Daraus kann man viel machen. MA: Sie haben zwar schon etwas dazu gesagt, aber wie denken Sie, dass die Einheimischen, die hier waren, die Ur-Mannheimer oder wie man sie nennen will, was für ein Verhältnis die dazu haben und ob es sich so im Laufe der Zeit – Sie sind ja auch ziemlich lange hier –so verändert hat oder gewandelt hat? TK: Also die Mannheimer Bevölkerung ist halt Mannemarisch wie man das sagt. Die sind direkte, interessante Menschen, ich mag die irgendwie, die Mannheimer. Wie die reden, wie die sprechen. Ist nicht meine Welt, aber es gefällt mir, ich komme zurecht. Sie sind direkt, ehrlich. Was ich nicht gut finde in Mannheim sind diese Verhältnisse im Amt, dieses Ordnungsamt, Einbürgerungsamt, also dieses Amt hier, das macht mir schon Schwierigkeiten seit eh und je. Ich hatte immer da Schwierigkeiten als Student. Und jetzt höre ich immer von den anderen, da benehmen sie sich schlecht und da hat man dagegen nichts machen können. Das verstehe ich nicht. Da musst der OB das zur Chefsache machen und sich darum kümmern, dass die Verhältnisse dort besser werden. Damals war noch schwieriger, jetzt ist vielleicht etwas besser, aber es muss noch verbessert werden. Ansonsten Mannheim hat eine wirklich schöne Atmosphäre, das ist diese Kurfürsten-Atmosphäre. Seit vierhundert Jahren Mannheim ist gewöhnt daran, immer mit Migranten zusammen zu leben, besteht sogar aus Migranten wahrscheinlich, Walonen, Tschechen, Polen, Griechen, Türken, Italiener und so weiter. Ich fühle hier einerseits einen Konservatismus, andererseits auch eine offene Welt. Beides, so Kontrast Mannheim. Vielleicht das gefällt mir. Irgendwas gefällt mir hier, dass ich mir nicht denken kann, dass ich wo anders lebe. Wenn man mir auch einen besseren Job anbieten würde, würde ich trotzdem versuchen hierzubleiben. MA: Und wie sehen Sie das politisch? Inwiefern die Migranten hier politisch gut repräsentiert sind? Oder überhaupt repräsentiert sind? Fühlen Sie sich repräsentiert als Migrant politisch, hier lokal zumindest? TK: Ja, nicht genug, nicht so gut. In Parteien haben wir einige Migranten seit vielleicht vier, fünf Jahren, die richtig Politik machen. Aber wir sind nicht richtig repräsentiert. Auch nicht bei FDP, nicht bei SPD, auch nicht richtig bei CDU sowieso, bei den Grünen auch nicht so gut. Da ist schon ein Manko da eigentlich, da müssten wir mehr machen. Das hat damit zu tun, dass wir davon nichts verstehen, erst mal nicht. Also da gibt es Regeln in Deutschland wie man sich parteipolitisch, wie man aktiv sein soll parteipolitisch, da gibt’s Wege. Man fängt an von Kleinem, man muss Mitglied werden, man muss im Bezirksrat der Partei anfangen zu arbeiten und so weiter, da machen wir wenig. Das ist ein Grund. Zweitens, aber die Akzeptanz ist nicht unbedingt da bei Parteien und so weiter, da fehlt es auch. Von beiden Seiten gibt es Schwierigkeiten. Das kann ich auch verstehen. Es ist so, die meisten Sachen, wie im Business, im Geschäft, wenn Nachfrage da, wenn Profit da, dann gibt’s was, dann sehen die Deutschen, „Ach Gott!“. Und da müssen wir als Migranten an und für sich mehr machen. [Interviewpause] MA: Wir führen das Interview fort. Sie sind ja Leiter des Instituts für Integration und interreligiösen Dialog, das im Zuge der Eröffnung der Yavuz-Sultan-Selim-Moschee gegründet wurde, wenn ich das richtig verstanden habe. TK: Ja, richtig. MA: Waren Sie damals an der Planung der Moschee und am Dialog mit den Vertretern der Stadt und der Kirchen, waren Sie damals beteiligt? TK: Zum größten Teil, ja. Ganz am Anfang war ich nicht dabei, aber später bin ich eingesprungen, weil der Vorsitzende damals von der Moschee mich gefragt hatte, eine Eröffnungs-, wie heißt das, Flyer, fertigzustellen. Sogar am Ende gab’s auch sehr viele Missverständnisse und Klärungsbedarf. Am Anfang noch mehr, das habe ich aber auch dann miterlebt als Mannheimer. MA: Vielleicht können Sie zur Vorgeschichte etwas erzählen? TK: Diese Moschee… Die Migranten leben ja in Mannheim seit sechziger Jahren da. Und nach einem Jahr haben sie gesehen, wir brauchen doch Räumlichkeiten, um Gebete zu verrichten und so weiter. Erst mal haben sie Räumlichkeiten von den Kirchen bekommen, und das sind diese Anfänge vom interreligiösen Dialog mit Kirchen und Muslimen, wo Kirchen hier sich auch sehr positiv verhalten haben, muss man die loben. Die haben Räumlichkeiten den Muslimen gegeben. Für die Muslime war das sehr schön, aber sie brauchten etwas mehr, etwas stabiles, etwas kontinuierliches. Dann haben sie Räume gesucht und gefunden, das heißt immer Hinterhofsmoscheen. Und da sind Hinterhofsmoscheen entstanden. Wir hatten mal auch in den G-Quadraten eine Hinterhofsmoschee jahrelang. Und keiner kümmerte sich darum, keiner wusste davon, kein Deutscher, niemand hat das gewusst, besucht und so weiter. Bis die Stadt Mannheim sagte, „Ja, es ist jetzt Sanierungsgebiete, bitte zieht aus, wir müssen alles sanieren.“ Da war der Verein gezwungen, eine neue Räumlichkeit zu suchen. Daraufhin haben sie überall mal was gesucht, das war schon Anfang der neunziger Jahre, Ende Achtziger, Anfang neunziger Jahre. Und einmal ein Raum im Industriegebiet, dann nochmal woanders. Aber der damalige Vorstand sagte, „Am besten bleiben wir dort, wo die Gläubigen sind. Und das ist Stadtmitte und Jungbusch. Warum sollen wir zum Industriegebiet wo gar keine Muslime leben?“. Und dann haben sie sich entschieden, etwas in der Stadtmitte zu suchen und am Ende es im Jungbusch eine Räumlichkeit oder einen Raum gegeben hat, einen Platz, wo man bauen könnte. Man hat Gelder gesammelt und dann bekannt gegeben, „Jetzt haben wir einen Platz, wo wir bauen können, wir möchten eine Moschee bauen.“ MA: Wie viel Gläubige, wie viel Leute haben das damals in Anspruch genommen? TK: Fünfhundert, sechshundert. MA: Die Woche, die dann wirklich auch… TK: Ein bisschen mehr auch, am Freitag auch um die tausend Leute. Als man aber bekannt machte, Muslime wollen eine große Moschee bauen im Jungbusch, da gab es mal eine Bürgerinitiative dagegen, immer noch da. Teilweise haben wir das geschafft, aber teilweise, wenn die Muslime was vorhaben, so wie muslimischen Kindergarten oder Sport, von Türkspor in Neckarstadt oder wo anders, gibt’s immer Leute, die sofort dagegen sind. „Türken und Muslime wollen was? Nein!!!“. Das kann man nicht verstehen, das ist unverschämt eigentlich. Damals war noch schwieriger. Wir waren auch als Muslime schockiert. Es gibt Muslime, die gläubig sind und die nicht gläubig sind, das ist überall so. Alle waren wir schockiert, dass man das nicht akzeptiert hatte. Und der Pfarrer von Jungbusch, von der Liebfrauenkirche, kam damals zu uns und sagte, „Ich bin der Pfarrer von der katholischen Kirche, ich hab gehört, Ihr wollt hier eine Moschee bauen und so weiter, ich bin dafür. Ich will es, aber meine Gemeinde ist dagegen, weil man Islam nicht kennt. Man weiß nicht, was hier abläuft, man hat Angst. Und was man nicht kennt, davor hat man Angst.“ Das kennen wir auch, der Bauer frisst nicht, was er nicht kennt, dieses Sprichwort gilt eigentlich für überall. Und daraufhin sagte auch der evangelische Pfarrer dasselbe. Und das war unsere Schwierigkeit vor dem Moscheebau. Und dann damals Helmut Schmitt, der Integrationsbeauftragte der Stadt Mannheim, sagte, „Das ist eine große Schwierigkeit, das stört uns auch, wir wollen eine Lösung finden. Am besten bilden wir eine Plattform, ein Forum, wo wir diskutieren können.“ Das war eine sehr gute Idee. Wir haben die Christlich-Islamische Gesellschaft gegründet und zwei Jahre lang , sogar mehr, mehr als zwei Jahre lang diskutiert und aufgeklärt, was Islam ist, wie die Muslime leben. Und das hat sich gelohnt, am Ende die Leute waren aufgeklärt und haben verstanden, dass eine Moschee ein Gotteshaus ist und ein Bedürfnis ist. Eine Moschee ist wie ein Tempel, wie eine Synagoge, wie eine Kirche, ja, man hat religiöse Bedürfnisse, man braucht das. Und man kann in einem zivilisierten demokratischen Land nicht nein sagen eigentlich, das ist ja Blödsinn, nicht? Verfassung garantiert es und die Leute sagen, „Nein“. Was soll das? Und die Leute behaupten, wir sind demokratisch, wir sind zivilisiert. Ja, dann zeigt wie zivilisiert Ihr seid, wie demokratisch Ihr seid in diesen Fällen, nicht auf Papier. Also aber nach der Aufklärungsphase haben wir die Erlaubnis bekommen von der Stadt und auch von der Bevölkerung. Die sagten okay und daraufhin hat man die größte Moschee Deutschlands gebaut. Und das hat gezeigt, dass Moscheen auch für Integration beitragen können, nachher, wenn die Moschee offen ist, transparent ist und groß genug ist und […?]. Weil seitdem – 1995 haben wir es eröffnet, siebzehn Jahre – seitdem haben mehr als 300.000 Leute die Moschee besucht, Informationen über den Islam bekommen und jetzt ist‘s kein Thema in der Stadtmitte, ob da ein Moschee sein soll oder nicht, das findet man als eine Bereicherung. Und die Leute kommen sehr gern in die Moschee und wir freuen uns. Wir geben auch Führungen auf Deutsch, wir erklären alles auch und das ist das Beste, was man machen kann. Und das haben wir aus diesen Konflikten gelernt. Man muss erst mal Dialog führen, an die Leute gehen, kommunizieren, ohne Scheu erklären und Geduld haben und Warten und dann klappt es. Das ist unsere Erfahrung und das können wir überall jetzt in bestimmten Beziehungen verwenden. So soll man umgehen, weil es gibt Meinungsverschiedenheiten, es gibt unterschiedliche Sachen. Aber darüber muss man kommunizieren, diskutieren. Wenn man weiß, wenn es man klar machen kann, dann klappt es viel besser. MA: Und in welchen Foren haben Sie da diskutiert? Wo sind Sie dann hingegangen, wo haben Sie die Leute…? TK: Kirchen, Stadthäuser, also mehrere. Auch damals Oberbürgermeister Widder hat beigewohnt, hat mitgemacht. MA: Wie unterstützend war die Stadt damals? TK: Sehr! Also Mannheim als Stadtverwaltung, besonders Oberbürgermeister und sein Stab und auch der Integrationsbeauftragte, die waren sehr, sehr unterstützend. Ohne deren Hilfe hätten wir nicht geschafft. Das ist A und O. Die waren offen, die haben das unterstützt, sodass wir es geschafft haben. Die waren davon überzeugt, die Muslime sind Bestandteil dieser Gesellschaft, wir brauchen die, die haben Bedürfnisse, die muss man auch berücksichtigen. Wir sind keine Maschinen, wir sind keine minderwertige Menschen, alles muss berücksichtig werden. MA: Ja, und dann kam es eben zur Gründung des Instituts… TK: Als ich dann diese Festschrift schreiben wollte oder den Auftrag bekam, die Festschrift für die Eröffnung zu gestalten von dem Vorstand der Moschee, dann hab ich gesagt, „Machen wir es Deutsch oder Türkisch?“, „Ja, in beiden Sprachen“. Dann dachte ich, „Okay, ich hol meinen Studienfreund, Rainer Albert“, Dr. Rainer Albert, der mir helfen sollte auf Deutsch, dass wir es gemeinsam machen. Und mit ihm haben wir diese Festschrift veröffentlicht, mit ihm haben wir sehr viele Kontakte geknüpft mit Stadt Mannheim. Da haben wir gesehen, immer noch brauch man Unterstützungsarbeit, immer noch brauchen wir Leute, die eine Brückenfunktion zwischen Stadt und Moschee, Muslimen und Christen, Deutschen und Türken. Und dann dachte ich, okay, dann mach ich das. Ich und Rainer und dann Bekir Alboğa kam dazu. Zu dritt haben wir angefangen daran zu arbeiten. Mit dem Vorstandsvorsitzenden Özay haben wir dann die Idee gehabt ein Institut zu bilden, zu viert haben wir dieses Institut – damals hieß es Institut für Deutsch-Türkische Integrationsstudien – gegründet. Also wenn ich jetzt zurückschaue, dann sehe ich, dass eigentlich das Institut sein Zweck ist für sich selbst, die ganze Gründung. Weil unser Institut ist deutsch-türkisch, christlich und muslimisch, also Deutsche und Türken arbeiten zusammen. Meistens gibt es Leute, die entweder türkisch sind oder muslimisch und machen etwas in Deutschland. Entweder Migration oder religiöse Angelegenheiten oder irgendwas. Oder Christen interessieren sich. Oder Deutsche sekulär interessieren sich für Migranten oder Muslime. Von sich ausgehend, von Christentum oder Deutschtum ausgehend, machen sie etwas und bilden ein Institut. Unser Institut aber weder das, noch das, wissen Sie? Weder muslimisch, noch türkisch, noch deutsch oder türkisch, sondern beides, wir sind am gleichen Tisch und gleichgesinnt. Und so was gibt’s kaum, ja, so was hab ich noch nicht in Deutschland so gesehen, so institutionalisiert eine Einrichtung, wo auch eine richtige Arbeit leistet. Und das haben wir geschafft hier. Wir haben einen Vorstand, wo Deutsche, Türken, Christen, Muslime drin sind und wir bringen unsere Erfahrung zusammen und entscheiden wir gemeinsam und machen verschiedene Projekte. Größtes Projekt ist immer noch offene Moschee, mit Moschee zusammen, wir bieten Führungen auf Deutsch an. Am Anfang nur das Institut, jetzt auch Moschee macht ganz intensiv mit, Moschee mit Führer und Führerinnen, sehr viele Frauen jetzt engagieren sich, freuen sich sehr auf die Besucher und geben gerne Information auf Deutsch. Das ist ein einmaliges integratives Projekt. Und Qualifikation der Jugendleiter haben wir gemacht immer noch. Machen wir, wenn Bedarf ist, dass wir Jugendleiter im Moscheeverein qualifizieren. Senioren können wir qualifizieren. Wir bilden Fortbildungsseminare für deutsche Einrichtungen, christliche Einrichtungen, was Migranten und interreligiösen Dialog betrifft. Sehr viele Vorträge über Islam und über Integration, jedes Jahr, jährlich, wir nehmen teil auf Podiumsdiskussionen. Also Aufklärung, Aufklärung und so weiter. Und das neue Projekt, ein neues Projekt ist islamische Krankenhaus-Seelsorge oder Notfall-Seelsorge Ausbildung. Wir bilden Muslime aus, damit sie in Krankenhäusern und Notfallsituationen Muslimen helfen können, aber nicht nur Muslimen, jedem. Wir sind für Deutsche auch da. Oder Halal, das ist wie koschere Ernährung, islamische Ernährung. Man muss das auch richtig verstehen, islamische Ernährung wird auch nicht richtig verstanden und wir wollen, dass in Deutschland überall ein Standard herrscht nicht eine Willkür. Also wir versuchen dieses islamische Verständnis in Europa ein bisschen beizusteuern, nach europäischen Verhältnissen. Denn Islam ist universell, man kann Islam nicht begrenzen auf Arabien und auf Türkei. Islam ist überall zu finden. Warum universell? Weil es dynamisch ist, weil es auch in bestimmten Hinsichten flexibel ist. Aber das wissen nicht alle Leute. Viele, also diese Taliban-Leute oder, wie soll ich sagen, Fanatiker oder Fundamentalisten beschränken Islam auf etwas, was eigentlich dem Islam schadet. Wir sind dagegen. Wir bilden in Mannheim einen Gegenpol gegen diese Fundamentalisten, gegen solche Leute, indem wir ein Islamverständnis hervorbringen möchten, das zeitgemäß ist. Islamisch, aber zeitgemäß, universell, offen für andere, also nicht, wie heißt das, eine Mauer bildet, sondern Transparenz schafft und Offenheit schafft und das Zusammenleben, das friedliche Zusammenleben ermöglicht. Das ist die Arbeit von unserem Institut, die wir seit siebzehn Jahren hier betreiben. MA: Zu dem was Sie jetzt sagen, die Gegenseite der Medaille ist ja auch, dass in Deutschland hat sich im letzten Jahrzehnt so ein ausgesprochen antiislamischer Diskurs auch etabliert und es gibt ja auch Experten, die sprechen inzwischen davon, dass… oder die vergleichen eben Antiislamismus mit Antisemitismus auch und sehen es eben auch als eine Spielart von Rassismus letztlich. Wie stehen Sie dazu oder was ist Ihre Beobachtung, was das betrifft? Also diese Diskurse, die oft in den Medien sind – ich sage nur Sarrazin und ähnliches. TK: Das ist Tatsache, Tatsache. Das ist wirklich auch ein Beispiel, was wirklich Parallelitäten zeigt, Antisemitismus oder Antiislamismus ist schon da, ist schon da. Das sieht man bei Sarrazin oder gleichgesinnten Leuten oder diese NSU-Geschichte und so. Das ist wieder Rassismus, das ist Rassismus, purer Rassismus. Und das zeigt sich jetzt gegen Muslime, früher gegen Türken, jetzt gegen Muslime, leider. Das ist beängstigend muss ich sagen nach dieser neuen NSU-Geschichte ist beängstigend, dass man das vertuscht hat, dass man das noch nicht aufgeklärt hat. Wissen wir noch nicht, ob überhaupt aufgeklärt wird. Und das ist in der Zukunft… Judentum, Juden sind betroffen worden, heute sind es die Muslime. Gott weiß wie es sich dann entwickeln kann, gehe ich jetzt von schlechten, schwierigen Szenarien aus, nicht? Wenn große Inflationsrate, Arbeitslosigkeit, Krise und so weiter, dann werden die Leute gnadenloser und da sucht man Sündenbock und das sind schnell eine Gruppe – und das sind Türken jetzt und Muslime. Also ich sage bewusst Türken – Muslime sowieso – aber Türken insbesondere. Weil wir hier die Mehrheit unter den Migranten bilden und sind jetzt ein Dorn im Auge bei Rassisten, bei diesen Nationalisten. Also ich bin nicht gegen Nationalismus im kulturellen Sinne, also im positiven Sinne könnte gesund sein, wenn es nicht rassistisch wird, wenn es nur Kultur… Dass man seine eigene Kultur schätzt und versucht zu pflegen, das ist schön, jeder sollte das machen. Aber nicht auf Kosten der anderen und nicht gegen die anderen, nicht so vergleichen und nicht diskriminieren. Das ist leider so und das beängstigt mich ehrlich gesagt. MA: Kriegen Sie da auch Rückmeldungen von der Gemeinde? Sie stehen ja so in Kontakt mit der community, dass so die Leute auch darüber sprechen, darüber nachdenken was passiert, auch mit diesen ganzen NSU-Geschichten? TK: Da reden wir nicht sehr viel darüber, aber jeder ist beängstigt. MA: Ja, ich habe jetzt noch ein paar Fragen – weil ich weiß, Ihre Zeit ist begrenzt – noch ein bisschen was zu Mannheim: Also zum einen die Frage, was für Sie typisch Mannheim ist? TK: Typisch Mannheim ist diese Offenheit, pluralistische Gesellschaft, dass sehr viele verschiedene Kulturen miteinander vermischen. Das ist keine typische deutsche Stadt. Das ist typisch Mannheim – diese Offenheit und dieser Pluralismus, trotz des Konservativismus in Mannheim, das ist der Kontrast, das ist interessant, das kann man schlecht beschreiben. Aber das ist halt so. MA: Und wo ist Ihr Mannheim, also ein Ort in Mannheim, den Sie ganz besonders schätzen? TK: Das ist dieser Teil, Stadtmitte und Jungbusch und Neckarstadt ist mein Mannheim. Ich kenne fast alle Ecken hier und so viele Menschen. Wenn ich mal laufe mehr als zehn Leute treffe ich auf einmal und grüße ich. Das ist mein Mannheim, da fühle ich mich wohl. MA: Schön, dann danke ich Ihnen sehr. Da Ihre Zeitressourcen begrenzt waren, nochmal besonderen Dank! TK: Gern geschehen, gern geschehen! |