Städtisches Zucht- und Waisenhaus, 1747-1853 (Bestand)

Archive plan context


Title:Städtisches Zucht- und Waisenhaus
Name of the creator / provenance:Durch einen privaten Kontakt erfuhr Dr. Christoph Popp im Sommer 2008 von der Existenz älterer Unterlagen in der Justizvollzugsanstalt Mannheim. Da die JVA erst in jüngerer Zeit gegründet wurde und außerdem eine Einrichtung des Landes Baden-Württemberg ist, war älteres Schriftgut städtischer Provenienz bis zu diesem Zeitpunkt dort aus gutem Grund nicht vermutet worden. Bei der Korrespondenz mit dem technischen Leiter der JVA, Herrn Hubert Minges, stellte sich dann heraus, dass es sich um zwei Stapel Akten des Zuchthauses aus kurpfälzischer Zeit handelte, die dem Stadtarchiv zur Sichtung und Archivierung schenkungsweise angeboten und übernommen wurden. Den neuen Bestand verzeichnete im Oktober 2009 der Archivreferendar Michael Habersack unter Anleitung von Dr. Susanne Schlösser und Dr. Christoph Popp.
Geschichte der Institution mit Archivbeständen:Das neue Zucht- und Waisenhaus Mannheims, das 1749 in Q 6 eröffnet wurde, hatte seine Wurzeln offenbar in einem bereits bestehenden Zuchthaus, das ab 1748 erweitert und modernisiert wurde. Um dabei eine möglichst zweckmäßige Einrichtung zu schaffen, fuhr der mit dem Bau federführend betraute Maurermeister Anton Pfanner zu Besichtigungen in die Strafanstalten von Mainz, Frankfurt am Main und Hanau, und die Zuchthausverwaltung ließ sich als Muster Tagesordnungen und Vordrucke anderer Zucht- und „Correctionshäuser“ schicken.
Mit dem Umbau erweiterte sich auch die Funktion des entstehenden Komplexes: War es zuvor nur ein kleines Gefängnis gewesen, so wurde es nun ein Arbeitshaus für „Züchtlinge“, Waisen und Arme, in dem Wolle und Seide gesponnen sowie Leinwand und Spitze hergestellt wurde. Diese Leinwand aus eigener Herstellung verwandte die Zuchthausverwaltung mitunter als Tauschware gegen Baustoffe, daneben übernahm sie aber auch öffentliche und private Aufträge und stellte insbesondere die Tuche für die Uniformen der Mannheimer Stadtsoldaten her, bis die Aufgabe 1772 an die Frankenthaler Wollmanufaktur übertragen wurde. Danach arbeitete die Zuchthausweberei der Wollmanufaktur noch zu; schließlich wurde die Zusammenarbeit wegen eines Streits um die Lohnhöhe der Gefangenen aber beendet. Fallengelassen hatte man außerdem das Projekt, Gefangene nach Frankenthal zu verlegen, um sie dort in den „Fabriquen“ arbeiten zu lassen. –
Neue Bauarbeiten standen im Zuchthaus 1796 wieder als, nachdem bei der Beschießung der Stadt im Vorjahr die Uhr des Zuchthausturms in Mitleidenschaft gezogen worden war. Außerdem wurde zur gleichen Zeit durch den Zukauf der benachbarten Bürgerhäuser der Familien von Faille und Gruber das Zuchthausgelände erweitert, so dass auch hier Instandsetzungs- und Umbauarbeiten nötig wurden.
Etwa ein Jahrzehnt später kamen Überlegungen auf, das Zucht- und Waisenhaus zusätzlich zu seinen bestehenden Funktionen zum zentralen kurpfälzischen „Irrenhaus“ zu erweitern. Während diese Pläne aber nicht umgesetzt wurden, erfuhr das Zuchthaus in dieser Zeit seine nächste Modernisierung: Zuerst wurden im Bereich des Frauengefängnisses, später auch bei den Männern „bewegliche“ Abtritte eingebaut. Die „Beweglichkeit“ bestand hierbei darin, dass unter den Fallschächten der Abtritte Fässer mit trichterförmigen Öffnungen aufgestellt wurden, die den Abtransport der Fäkalien erleichtern sollten. An dem unangenehmen Geruch, den die Abtritte verbreiteten, änderte das jedoch nichts, so dass die Fallschächte drei Jahrzehnte später, in den 1840er Jahren, gänzlich erneuert und mit Eisenrohren ausgestattet wurden. Parallel dazu wurden in diesen Jahren zwischen 1845 und 1847, bei der Umwandlung des Zuchthauses zum Kreisgefängnis, auch die ersten Badewannen eingerichtet. Wenige Jahre später endet 1852/53 mit der Auflösung der Zuchthausverwaltung zugunsten der nun eingerichteten großherzoglichen Kreisgefängnisverwaltung die etwa einhundertjährige Laufzeit des vorliegenden Bestands.
Spiegelt sich in den ihn zu einem großen Teil ausmachenden Bauangelegenheiten bereits ein Stück Alltagsgeschichte der Häftlinge wider, so bieten insbesondere die Akten aus dem Bereich des Strafvollzugs aufschlussreiche Details über das Leben im Mannheimer Zucht- und Waisenhaus. Es finden sich hier Jahresberichte, die genaue Gefangenenzahlen und Haftgründe, Verstöße gegen die Gefängnisordnung und Strafen, aber auch die einzelnen Kleidungsstücke der Gefangenen ausweisen. Daneben liegen Verzeichnisse zu den als „Willkomm und Abschied“ bezeichneten Schlägen vor, die die Gefangenen bei Einlieferung und Entlassung erhielten, sowie zu der an den Samstagen bei Wasser und Brot vollzogenen Kettenstrafe. Und schließlich finden sich Unterlagen über die räumliche Trennung der Schwerverbrecher von den übrigen Gefangenen, über die Versorgung von in der Haft ihrer Mütter geborener oder noch kleiner Kinder sowie eine Tagesordnung für die in einem eigenen Flügel des Zuchthauskomplexes untergebrachten Waisenkinder, deren Alltag morgens um 4 Uhr begann.


Classification:Der Bestand umfasst 37 Nummern und gliedert sich in folgende Klassifikationspunkte:
1. Bauwesen
2. Güter- und Personalverwaltung
3. Strafvollzug und Waisenhausverwaltung
Usage notes:Gemäß der Archivordnung der Stadt Mannheim vom 30.06.1992 in der Fassung vom 01.01.2008 unterliegt die Benutzung den Regelungen des Landesarchivgesetzes Baden-Württemberg und der Beachtung der Persönlichkeitsschutzrechte Betroffener sowie der schutzwürdigen Belange Dritter. Eine Sperrfrist gilt nicht mehr.
Comments:Literatur
Stefan MÖRZ, 1743-1777. Glanz der Residenz zur Karl-Theodor-Zeit, in: Ulrich Nieß/Michael Caroli (Hg.), Geschichte der Stadt Mannheim. Bd. 1: 1607-1801, Heidelberg 2007, S. 372-527
Hans HUTH (Bearb.), Die Kunstdenkmäler des Stadtkreises Mannheim, Bd. 2 (Die Kunstdenkmäler in Baden-Württemberg), München 1982, hier: S. 1334.

Ergänzende Bestände
Generallandesarchiv Karlsruhe: Mikrofilme Nr. III A 1485
Nr. III A 1533
Nr. III A 1536
Nr. III A 1537
Nr. III A 1538
Nr. III A 1542
Nr. III A 1543
Nr. III A 1549

Evangelische Kirchengemeinde Mannheim: Zug. 45/1999 Nr. 451
Zug. 50/1999 Nr. 450
Zug. 50/1999 Nr. 61

Katholisches Bürgerhospital: Zug. 44/1968 Nr. 647

Mannheim, im Oktober 2009
Michael Habersack
Bundesland:Baden-Württemberg
Art der Institution mit Archivbeständen:Kommunale Archive
 

Usage

End of term of protection:12/31/1883
Permission required:Keine
Physical Usability:Uneingeschränkt
Accessibility:Öffentlich
 

URL for this unit of description

URL: https://scope.mannheim.de/detail.aspx?ID=239509
 

Social Media

Share
 
Home|de en
Online queries with scopeQuery™